Zehntes Buch: Darius und Xerxes
2. Kapitel:
|
Hellas im Peloponnesischen Krieg
Teil III: Das Erste Buch im "Polemos" (2. Teil)
|
Zurück zu Thuk. I, 113: Die Niederlage der Athener bei der boiotischen Stadt Chaironeia führte dazu, dass Athen Boiotien, das es vorher eingesteckt hatte, wieder herausgeben musste. Das spielte sich im unmittelbaren Anschluss an den "Heiligen Krieg" (Thuk. I, 112) ab, also noch kurz vor dem Peloponnesischen Krieg, und kann daher mit den Aktivitäten Philipps und dessen Sieg über die Athener bei Chaironeia (konv. 2. Aug. 338 v.Chr.) zusammenhängen. Es wird aber im "Polemos" weder der Name Philipp noch der Name Pammenes, also der des Epaminondas genannt. Beide müssten jedoch in diese Zeit gehören, wenn Absatz 113 hierher gehören würde.
Diese Nichterwähnung muss der von mir gewählten zeitlichen Zuordnung indes nicht widersprechen; denn umgekehrt werden im Zusammenhang mit Philipp keine Namen athenischer Feldherren genannt. Es ist daher nicht auszuschließen, dass es Tolmides war, der Sohn des Tolmaios, der die Niederlage gegen Philipp einstecken musste.
Im folgenden Absatz kommt es wieder zu einer Vermischung älterer mit jüngeren Ereignissen:
(Thuk. I, 114) Darauf - nur kurze Zeit später - fiel Euböa von Athen ab ...
Kurz nach dem Heiligen Krieg und der Niederlage der Athener bei Chaironeia (691 ndFl) fiel Euböa, das zwölf Jahre zuvor von Athen vereinnahmt worden war, wieder ab, was die Athener natürlich nicht hinnehmen wollten. Der "Polemos"-Redakteur, der "Erfinder der Pentekontaëtie", nutzt diese Gelegenheit, Perikles ins Spiel zu bringen und vor allem die (Rück-?)Eroberung Euböas als Ersteroberung hinzustellen. Der Gipfel ist schließlich seine Projektion dieser Ereignisse in die Zeit nach dem Perserkrieg:
(Thuk. I, 114): ... Schon war Perikles mit einem athenischen Heer nach Euböa übergesetzt, da wurde ihm gemeldet, dass auch Megara abgefallen sei, dass die Lakedaimonier im Begriff ständen, in Attika einzufallen, und dass die athenische Besatzung bereits von den Megarern niedergemacht worden sei, mit Ausnahme eines Teiles, der sich nach Nisäa geflüchtet habe. Die Megarer hätten bei ihrem Abfall auch die Korinther, die Sikyonier und die Epidaurer auf ihre Seite gezogen ...
Das ist die Situation, wie sie der "Polemos"-Autor noch geschildert haben könnte, allerdings nicht mit der Erwähnung des Namens Perikles: Die Lakedaimonier stehen kurz davor, in Attika einzufallen - und damit den Peloponesischen Krieg zu beginnen. Und nun stehen die Athener fern der Heimat auf Euböa! Oder ist hier wieder manipuliert worden?
(Thuk. I, 114) ... Perikles führte nun das Heer schleunigst aus Euböa zurück. Die Peloponnesier machten auch wirklich unter Führung des lakedaimonischen Königs Pleistoanax, Sohnes des Pausanias, einen Einfall in Attika und verwüsteten die Gegend von Eleusis und die thriasische Ebene; weiter kamen sie jedoch nicht und kehrten wieder um ...
Das kennen wir doch; dasselbe schreibt Herodot (V, 74) von einem anderen spartanischen König, der jedoch tatsächlich in diese Zeit gehört:
Kleomenes versammelte in der ganzen Peloponnes ein Heer. Den Zweck verschwieg er, doch wollte er ... Isagoras zum Tyrannen von Athen machen. Er fiel also mit einem großen Heere in Eleusis (zwischen Athen und dem Isthmus gelegen) ins Land, und die Boioter eroberten der Verabredung gemäß die Grenzdörfer Attikas Oinoë und Hysiai (an der boiotischen Grenze am Kithairon-Gebirge). Auf der anderen Seite griffen die Chalkidier an und verwüsteten die attischen Felder... (75) Als die Schlacht beginnen sollte, überlegten zuerst die Korinther, dass der Krieg eigentlich ungerecht sei, machten kehrt und zogen davon ...
Der Redakteur hat an die Stelle des Kleomenes den viel späteren Pleistoanax gesetzt, der wiederum tatsächlich ein Zeitgenosse des Perikles war; nur gehören beide nicht hierher! Der Redakteur muss nun den Übergang zur (Rück-?) Eroberung Euböas wieder herstellen, die Perikles - angeblich - abbrechen musste:
(Thuk. I, 114) ... Da setzten denn die Athener unter Perikles von neuem nach Euböa über und unterwarfen sich die ganze Insel. Die Verhältnisse in den Städten ordneten sie durch Verträge, nur die Hestiäer (Bewohner von Hestiäa auf Euböa, das später Oreos hieß) mussten auswandern und die Athener nahmen ihr Gebiet in Besitz.
Hier wird doch ganz offensichtlich vom "Polemos"-Autor die Ersteroberung Euböas geschildert. Der Redakteur sah sich gezwungen, wenn er diese Ereignisse in die Zeit nach dem Perserkrieg verlegen wollte, daraus eine Rückeroberung zu machen und sie mit Perikles zu verbinden. Die Ersteroberung dürfte Peisistratos zuzuschreiben sein, der hier dann von 682 bis 692 ndFl im Exil war. Sie gehört ins Jahr 679 ndFl, vierzehn Jahre vor den Beginn des Peloponnesischen Krieges. Daran schließt korrekt der folgende Absatz an:
(Thuk. I, 115) Nach der Rückkehr aus Euböa wurde dann bald der dreißigjährige Vertrag mit den Lakedämoniern und ihren Verbündeten geschlossen. Die Athener mussten Nisäa (Hafen von Megara), Pagä (Stadt in der Megaris), Troizen (Stadt in der südlichen Argolis) und Achaia (Landschaft in Thessalien, Phthiotis) herausgeben; diese Orte hatten sie den Lakedaimoniern genommen ...
Offensichtlich handelt es sich hierbei um zurückliegende Ereignisse, die die Zeit vor 679 ndFl betreffen, über die wir bisher nur geringe Kenntnisse haben, was die griechische Geschichte angeht. Die weiteren Schilderungen in diesem Absatz betreffen Samos und weisen eindeutig in die Zeit des Pissuthnes, des Sohnes des Hystaspes, sechs bzw. acht Jahre nach dem Vertragsabschluss: 685 bzw. 687 ndFl. Darüber ist weiter oben schon abgehandelt worden. Erst in Absatz 118 erfolgt der Hinweis auf den unmittelbar bevorstehenden Peloponnesischen Krieg, der dann ausführlich erst ab dem zweiten Buch des "Polemos" besprochen wird.
Der Redakteur muss, um seine Pentekontaëtie glaubhaft zu machen, die Anbindung dieses Machwerks an den Perserkrieg herstellen und muss auf die fünfzig Jahre hinweisen, die angeblich zwischen diesem und dem Peloponnesischen Krieg liegen. Das habe ich weiter oben schon wiedergegeben. Nach einigen banalen, erdichteten Allgemeinplätzen nimmt die Handlung am Vorabend des Peloponnesischen Krieges ihren Fortgang:
(Thuk. I, 118) ... Die Lakedämonier hatten sich also dahin entschieden, dass der Vertrag gelöst sei und die Athener das Recht verletzt hätten. ...
Den wahren Kriegsgrund, wie es zur Vertragsverletzung kam, erfahren wir hier nicht; denn das allgemeine Gerede, das in den Zeilen davor nur den falschen Anschluss an eine imaginäre Pentekontaëtie herstellen soll, befriedigt in keiner Weise. Wie weiter oben aber schon gesagt wurde, ist der eigentliche Kriegsgrund in den Kapiteln enthalten, die wir übersprungen haben. Es wäre jetzt also an der Zeit, da die Ereignisse am Ende des ersten Buches auf den Krieg zulaufen, auf die übersprungenen Kapitel zurückzugreifen.
Während der Absatz 23 - wie ich weiter oben schon sagte - am Anfang noch stark durchsetzt ist mit Eingriffen durch den Redakteur, bildet der Schlussteil glaubhaft den vom "Polemos"-Autor verfassten Übergang zum Krieg, und zwar zu der Kurzversion mit 27 Jahren:
(Thuk. I, 23)... Den Anfang (des Peloponnesischen Krieges) machte die Lösung des dreißigjährigen Vertrages, den die Athener und die Peloponnesier nach der Eroberung von Euböa geschlossen hatten. Warum sie ihn lösten, welches die Ursachen und welches die Streitpunkte waren, will ich jetzt zuerst erzählen, damit niemand mehr fragt, wie denn ein solcher Krieg in Hellas entstehen konnte. Der eigentliche, wenn auch nie offen ausgesprochene Grund war meines Erachtens das Hochkommen Athens, das den Lakedaimoniern Angst einflößte und sie in den Krieg trieb. Die offen anerkannten Gründe jedoch, die die Lösung des Vertrages und den Ausbruch des Krieges veranlassten, waren auf dieser und auf jener Seite folgende.
Dass hier bereits der Übergang zum Peloponnesischen Krieg erfolgt, kann als Beweis dafür angesehen werden, dass die gesamte nachfolgende Geschichte, also die Pentekontaëtie, nachträglich eingebaut worden ist. Folglich muss es nach diesem langen, in diesem Kapitel ausführlich besprochenen Einschub erneut einen Übergang zum Peloponnesischen Krieg geben, auf den ich natürlich ebenfalls noch eingehen muss. Dieser zweite Übergang ist vom "Polemos"-Redakteur für den Anschluss an seine Pentekontaëtie mehr oder weniger erfunden worden. Hier ist die Ansicht des "Polemos"-Autors:
(Thuk. I, 24) Es liegt eine Stadt namens Epidamnos (das römische Dyrrachium, heute Durazzo in Albanien) rechter Hand, wenn man in den Ionischen Meerbusen (der Teil des Mittelmeeres südlich der Adria) einfährt. In ihrer Nachbarschaft wohnen die Taulantier, ein nichtgriechischer, illyrischer Stamm (meines Erachtens dorischer Abkunft). Diese Stadt war von Kerkyra (Korfu) aus angelegt worden; Führer des Kolonistenzuges war Phalios gewesen, Sohn des Eratokleides, aus Korinth stammend, ein Nachfahre des Herakles. Nach alter Sitte war er aus der Mutterstadt Korinth zu der Koloniegründung berufen worden. Dem Zuge schlossen sich auch einige Korinther und andere Dorer an. Im Laufe der Zeit wurde Epidamnos eine große volkreiche Stadt.
Nach inneren Unruhen verlor die Stadt jedoch mehr und mehr an Macht, bis es kurz vor dem Krieg zum demokratischen Umsturz kam, indem die ärmere Bevölkerung die Reichen aus der Stadt jagte, die ihrerseits zu den Barbaren übergingen und die in der Stadt gebliebenen durch Plünderungen zu Wasser und zu Lande belästigten. Die Stadt-Epidamner sandten an ihre Mutterstadt Kerkyra um Hilfe, die ihnen jedoch versagt wurde. Vom Orakel zu Delphi wurde ihnen geraten, sich an die Urmutterstadt Korinth zu wenden, was die Epidamner auch befolgten.
Die Korinther sahen in der Hilfe, die sie den Epidamnern bereitwillig zusagten, auch eine Möglichkeit, Kerkyra eine Lehre zu erteilen, von dem sie sich als dessen Mutterstadt schon längst vernachlässigt sahen. Sie kamen mit einiger Unterstützung durch Nachbarn nach Epidamnos, worauf die Kerkyräer ihre Flotte zu Wasser ließen. Sie forderten die Epidamner unter Drohungen auf, ihre Verbannten, die sich jetzt in Kerkyra aufhielten, wieder aufzunehmen und die Korinther heimzuschicken. Auf die Weigerung der Epidamner hin begannen die Kerkyräer den Krieg und belagerten die auf einer Landzunge gelegene Stadt.
Die Korinther rüsteten nun ein Heer aus und erbaten auch von Megara und Epidauros sowie einigen anderen Städten in der Umgebung Schiffe, die sie auch bekamen. Theben und Phlius (Stadt im Peloponnes, auch Phleius geschrieben) gaben Geld, Elis Geld und unbemannte Schiffe. Die Korkyräer wollen die Sache vor einen Richterstuhl bringen, der über die Zugehörigkeit von Epidamnos entscheiden solle. Auch einem Orakelspruch aus Delphi würden sie sich unterwerfen, nur solle man keinen Krieg beginnen.
Genau das aber taten die Korinther. Sie erklärten Kerkyra den Krieg, stachen in See und fuhren gen Epidamnos, um die Kerkyräer zu bekämpfen. Die Flottenführer waren Aristeus, der Sohn des Pellichos, der demnächst auch bei Poteidaia auftauchen wird und dann Adeimantos zum Vater haben wird, sodann Kallikrates, der Sohn des Kallias, der - allerdings auf der Seite Athens - ebenfalls in Poteidaia erscheint, dann aber Kallias, der Sohn des Kalliades heißt, was auch richtiger ist; denn Kallikrates ist Kallias selbst, dessen Vater Kalliades hieß (Thuk. I, 61-69) und der keinen Sohn mit Namen Kallikrates hatte. Auf die Kallias-Familie komme ich weiter unten ausführlicher wieder zurück.
An dieser Stelle springt die Ähnlichkeit mit einer Situation ins Auge, die in Thuk. I, 56 im unmittelbaren Anschluss an die Ereignisse um Epidamnos geschildert wird und die schon an den Anfang des ("langen") Peloponnesischen Krieges gehört: Die Athener fordern Poteidaia auf, die Epidamiurgen auszuweisen, die Korinth jedes Jahr schickte, und künftig keine mehr anzunehmen. Die Gelehrten sind sich nicht sicher, worum es sich bei diesen Epidamiurgen handelt: "Offenbar eine Aufsichtsbehörde zur Überwachung der potidäatischen Beamten." Von anderen Stellen ist eine solche Behörde nicht bekannt. Die Rolle, die Korinth im Zusammenhang mit Poteidaia spielt, ist nicht sehr überzeugend. Meines Erachtens liegt hier eine massive Textverderbnis vor, die nur unzulänglich versucht worden ist, zu "reparieren". Die Epidamiurgen, Epidamnos, Korinth - das passt alles zum Konflikt mit Kerkyra, nicht zu Poteidaia.
Man sieht an diesen Unstimmigkeiten, wie sehr der ganze "Polemos" aus den Fugen geraten ist. Wenn solche offensichtlichen Ungenauigkeiten schon toleriert werden müssen, wie muss es dann mit den unsichtbaren Fehlern aussehen? Kann man sich überhaupt auf irgendetwas verlassen?
Ein anderer Flottenführer war Timanor, Sohn des Timanthes. Archetimos, Sohn des Eurytimos, und Isarchidas, Sohn des Isarchos, führten das Landheer. Dann kam es zu der ersten Seeschlacht zwischen Hellenen, die überliefert ist:
(Thuk. I, 29) ... Als sie in Aktion (Stadt in Akarnanien am Eingang des amprakischen oder ambrakischen Meerbusens), im anaktorischen Gebiete, angekommen waren, wo der Apollotempel steht, an der Mündung des amprakischen Meerbusens, schickten die Kerkyräer ihnen (den Korinthern) einen Herold in einem Boot entgegen, mit der Aufforderung, nicht zum Angriff überzugehen ... Da der Herold keine friedliche Antwort von den Korinthern zurückbrachte ..., fuhren sie aus und lieferten den Korinthern eine Seeschlacht. Die Kerkyräer erfochten einen vollständigen Sieg ... (30) Nach dieser Seeschlacht errichteten die Kerkyräer auf Leukimme, dem Vorgebirge von Kerkyra, ein Siegesdenkmal ...
Noch am Tage des Seesieges wurde Epidamnos zur Übergabe gezwungen, die Korinther in der Stadt sowie auch die in Gefangenschaft geratenen Korinther wurden festgesetzt. Die beiden folgenden Jahre, also 690 und 691 ndFl, in denen sich die Athener fern von diesem Schauplatz Ionisches Meer mit Philipp I und dem "Heiligen" amphiktyonischen Krieg befassen mussten, standen ganz im Zeichen der Aufrüstung seitens der Korinther, die die Niederlage gegen Kerkyra nicht einfach wegstecken wollten. Die Kerkyräer bemühten sich händeringend um Bundesgenossen, da sie sich weder in den Bundesgenossenvertrag der Athener noch in den der Lakedämonier hatten aufnehmen lassen. Diese beiden Gruppen hatten gerade (konv. August) den besagten Krieg beendet, der auch als Bundesgenossenkrieg bezeichnet werden kann. So konnten beide Parteien nach Athen fahren: die Kerkyräer um Hilfe zu erbitten, die Korinther um diese Hilfe zu verhindern; denn Athen hatte wieder die Hände frei.
In Thuk. I, 32-36 wird eine fiktive Rede der Kerkyräer in Athen wiedergegeben, und in Thuk. I, 37-43 eine ebensolche der Korinther. Was wir von überlieferten Reden zu halten haben, wurde bereits gesagt: sie sind reine Dichtung. Auch die Hinweise auf Aigina, Samos und den Perserkrieg hat der redeversessene "Polemos"-Redakteur hier hinein"gedichtet", da sie größtenteils anachronistisch sind. Deswegen heißt es auch nach der einen Rede "So ungefähr lautete die Rede der Kerkyräer", und nach der anderen "So etwa sprachen die Korinther".
Die Athener wollten zwar neutral bleiben, schlossen aber dennoch einen gegenseitigen Schutzvertrag mit den Kerkyräern, weil man in dem zu erwartenden Krieg nicht auch noch die Kerkyräer gegen sich haben wollte. Sie schickten den Kerkyräern zehn Schiffe zu Hilfe, die unter Führung der folgenden Herren standen:
1. Lakedaimonios, Sohn des Kimon, von dem sonst nichts bekannt ist. Sein Vater ist nicht, wie konventionell angenommen wird, Kimon der Jüngere, der Sohn des Miltiades des Jüngeren, sondern der ältere Kimon, der Gegner der Peisistratiden.
2. Diotimos, der Sohn des Strombichos, von denen auch so gut wie nichts bekannt ist, falls nicht Diotimos jener Athener gewesen sein soll, der (konv. 409 v.Chr.) mit noch anderen athenischen Gesandten den Eid vor Pharnabazos ablegen wird (Hell. I 3, 12) und der später (nach dem Krieg?) mit Iphikrates zusammen Nikolochos in Abydos belagerte, den Gefolgsmann des Antalkidas (Hell. V 1, 25). Die beiden letzteren sind uns weiter oben schon im Zusammenhang mit Aigina begegnet. Zu diesem späteren Zeitpunkt müsste Diotimos bereits etwa dreißig Jahre älter geworden sein. Die genaue Datierung des fünften Buches der Hellenika kann ich jetzt noch nicht vornehmen. Die konventionelle ist auf jeden Fall falsch.
3. Proteas, der Sohn des Epikles, von denen nichts weiter bekannt ist, wie ich feststellen konnte.
Die Athener hatten den Befehl, nicht einzugreifen, wenn nicht die Korinther auf Kerkyra oder an einem zu Kerkyra gehörenden Ort landen wollten. Das sollten sie auf jeden Fall verhindern. Die Korinther aber segelten mit hundertfünfzig Schiffen, darunter viele ihrer Bundesgenossen, gen Kerkyra.
Die korinthischen Schiffe wurden von Xenokleides, dem Sohn des Euthykles, und vier anderen Feldherren befehligt. Von Xenokleides scheint ebenfalls weiter nichts bekannt zu sein. Sein Vater könnte ein Gesandter der Lakedaimonier beim Perserkönig gewesen sein (Hell. VII 1, 33; konv. 367 v.Chr., de facto um 700 ndFl). Die Korinther fuhren von Leukas, einer Akarnanien vorgelagerten Insel, zu der Kerkyra gegenüberliegenden Küste und ankerten in Cheimerion im thesprotischen Gebiet. Hier schlugen sie ihr Lager auf.
Die Kerkyräer rüsteten daraufhin hundertzehn Schiffe aus, die sie der Führung des Mikiades, des Aisimides und des Eurybatos unterstellten, von denen sonst nichts bekannt ist, und lagerten sich auf einer der Sybota-Inseln, die zwischen der Insel Kerkyra und dem festländischen Thesprotien liegen. Auch die zehn attischen Schiffe waren dabei, die bekanntlich den Befehl hatten, nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen einzugreifen.
Beide Parteien stellten ihre Schiffe schon wenig später zur Seeschlacht auf. Der "Polemos"-Autor betont, dass die Heere noch in der alten, ungeschickten Art der Ausrüstung in die Schlacht gingen: Viele Hopliten, Bogenschützen und Schleuderer (Thuk. I, 49). Das spricht zum einen für einen frühen Ansatz dieser Schlacht, der mit der konventionellen Reihenfolge der Kriege nicht in Einklang zu bringen ist, und zum anderen dafür, dass der "Polemos"-Autor den Wechsel in der Ausrüstung, der während des folgenden Krieges vorgenommen wurde, noch mitbekommen hat. So ist es doch wohl eher der Redakteur, der das später besonders von den Athenern praktizierte "Durchbrechen durch die Reihe" vermisst, den so genannten "Diëkplus", ein Manöver, bei dem man mit großer Heftigkeit zwischen die feindlichen Schiffe fuhr, um deren Ruder lahmzulegen. Diese Praxis wurde im Perserkrieg geübt, war also möglicherweise im Peloponnesischen Krieg noch nicht üblich.
Die attischen Schiffe nahmen nur hin und wieder Drohgebärden ein, ohne jedoch in den Kampf einzugreifen. Die Kerkyräer errangen einen Teilsieg auf dem rechten Flügel der Korinther, wo hauptsächlich deren Bundesgenossen standen, auf dem linken Flügel jedoch, wo die Korinther standen, gewannen diese die Oberhand. Als es dann zur ungeordneten Flucht der Kerkyräer kam, wurden die Athener mit den nachdrängenden Korinthern handgemein. Es fand in dem allgemeinen Chaos, das wegen der großen Zahl Schiffe herrschte, noch ein langer Nahkampf mit mörderischem Gemetzel statt.
Damit endete die größte Seeschlacht zwischen Hellenen, die bis dahin jemals geschlagen worden war. Wen wundert es? Sind wir doch immer noch in der Frühzeit der griechischen Geschichte, nur wenig mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Trojanischen Krieg!
In Thuk. I, 105 (siehe weiter oben: Kerkryphaleia) könnten das Eingreifen der Athener in letzter Minute und die folgende Begebenheit gemeint sein, die sich nach dem Versuch der Korinther, sich nach der Schlacht nochmals den Kerkyräern zu nähern, zugetragen hat:
(Thuk. I, 50) ...da ruderten die Korinther plötzlich rückwärts. Sie sahen nämlich zwanzig athenische Schiffe heransegeln, die die Athener jenen zehn Schiffen später nachgesandt hatten, in der Furcht, es möchten die Kerkyräer, wie es auch geschah, besiegt werden und die zehn Schiffe nicht hinreichend sein, ihnen beizustehen.
Diese zwanzig Schiffe standen unter der Führung der Herren Glaukon, des Sohnes des Leagros, und Andokides, des Sohnes des Leogoros. Herodot (IX, 75) erwähnt im Zusammenhang mit der Eroberung der Goldbergwerke (in Thrakien) durch die Athener einen athenischen Feldherrn namens Leagros, Sohn des Glaukon, also in umgekehrter Reihenfolge. Da sich diese Ereignisse in Thrakien, im Land der Edoner wie Herodot betont, genau zu derselben Zeit abspielen, in welche auch die in Rede stehenden gehören, so liegt der Verdach nahe, dass der "Polemos"-Redakteur hier die Filiation vertauscht hat, um den Eindruck zu erwecken, dass der in seine Pentekontaëtie gehörende Krieg um die Goldbergwerke von Thasos (konv. 466-464 v.Chr.) schon eine Generation vor dem Peloponnesischen Krieg stattgefunden habe. Demnach wäre dann der Vater Leagros des obigen Glaukon nicht nur der Feldherr bei Thasos gewesen, sondern auch der Sohn eines älteren Glaukon, des Großvaters des jetzigen. Es kann dennoch der Vater Leagros (geboren um 635 ndFl) des jetzigen Glaukon (geboren um 660 ndFl), der durchaus der Sohn eines älteren Glaukon (geboren um 610 ndFl) gewesen sein kann, noch leben und als Feldherr gleichzeitig mit seinem Sohn im athenischen Heer tätig sein.
Dieser jüngere Glaukon kann auch der Vater des Charmides (geboren etwa 685 ndFl) gewesen sein, eines Onkels des Platon und Vetters des Kritias. Charmides, der Sohn des Glaukon, ist am Ende des Peloponnesischen Krieges in der athenischen Revolution (circa vierzigjährig) ums Leben gekommen (Hell. II 4, 19 und Anm. 79).
Hier sollte ein Einschub wegen der Erwähnung des Namens Platon (bisweilen auch nur Plato geschrieben) erfolgen:
Die drei großen Philosophen des griechischen Altertums lebten in konventioneller Sicht in folgenden Jahren:
Sokrates, geboren 470 v.Chr. in Athen, gestorben 399 dort durch den "Schierlingsbecher", einen Gifttrank, der ihm nach seiner Verurteilung wegen "Unfrömmigkeit und Verführung der Jugend" verabreicht wurde.
Platon, geboren 427 in Athen, ab 407 Schüler des Sokrates, gründete 387 die Akademie (im Hain des Akademos); er starb 347 v.Chr.
Aristoteles, geboren 384 in Stageira in Makedonien (daher sein Name der Stagirit). Sein Vater soll Leibarzt am Hofe des Amyntas (II) gewesen sein. Ab 367 Schüler Platons in Athen, 343/2 Erzieher Alexanders des Großen (Nr. 2), stiftete 335 im Lykeion in Athen eine Philosophenschule, die nach den dortigen Wandelgängen die peripatetische genannt wurde. Angeklagt wegen Religionsverletzung floh er nach Chalkis auf Euböa, wo er um 322 v.Chr. starb.
Sie lebten in dieser Sichtweise alle erst nach dem Perserkrieg und waren altersmäßig weit auseinander: je 43 Jahre. Wie der Leser schon leicht erkennen kann, sind diese Zahlen nicht haltbar. Wenn das Todesjahr des (I)Sokrates, der auch mit dem Isagoras der in Rede stehenden Zeit identifiziert werden kann (siehe weiter unten!), 399 v.Chr. gewesen sein soll, dann entspräche das dem Jahre 725 ndFl. Sokrates hätte somit den Perserkrieg nicht erlebt. Sollte er tatsächlich 71 Jahre alt geworden sein, so müsste er 654 ndFl geboren sein und wäre in der in Rede stehenden Zeit (692 ndFl) 38 Jahre alt gewesen. Das sind alles plausible Möglichkeiten.
Platon soll (konv.) 427 v.Chr. geboren sein, was dem Jahr 697 ndFl entsprechen würde, dem fünften Jahr des (kurzen) Peloponnesischen Krieges, mithin 43 Jahre nach der Geburt des Sokrates, bei dem er zwanzigjährig, also 717 ndFl, die Lehrzeit begann. Weitere zwanzig Jahre später, 737 ndFl, müsste er die Akademie gegründet haben und erst vierzig Jahre danach, nämlich 777 ndFl, achtzigjährig gestorben sein. Onkel Charmides wäre nur zwölf Jahre älter gewesen als der Neffe, was als glaubhaft gelten kann.
Aristoteles wäre nach konventioneller Auffassung 43 Jahre nach Platon geboren, was dem Jahr 740 ndFl entsprechen würde. Das wäre jedoch viel zu spät, um noch Alexander in die Wissenschaften einzuführen. Die Jahre 343/2 v.Chr., in denen der sehr junge Alexander (geboren konv. 356 v.Chr. analog 720 ndFl) von Aristoteles erzogen wurde, entsprächen den Jahren 733/4 ndFl. In konventioneller Sicht wäre Aristoteles in diesen Jahren 41/42 Jahre alt gewesen, er müsste demnach im Jahre 692 ndFl geboren sein, wodurch er älter als Platon gewesen wäre, bei dem er siebzehnjährig Schüler geworden sei, was für Platon wiederum bedeuten würde, dass er erst zehn Jahre alt gewesen wäre.
Ich bin daher der Ansicht, dass Aristoteles um 710 ndFl geboren wurde, als sein Vater etwa 30 Jahre alt war und bei Amyntas in Diensten stand. Mit 17 Jahren, also 727 ndFl, ging der Sohn zu dem dreißigjährigen Platon und wenig später, im Alter von selbst erst dreiundzwanzig Jahren, begann er den nur zehn Jahre jüngeren Alexander zu unterrichten. Sollte er tatsächlich 62 Jahre alt geworden sein, dann wäre er noch fünf Jahre vor Platon im Jahre 772 ndFl gestorben. An diesen Zahlen sind noch Korrekturen möglich.
Andokides ist zuversichtlich mit dem athenischen Gesandten identisch, der (konv.) im Jahre 392 v.Chr. als Bevollmächtigter zu den Friedensverhandlungen nach Sparta ging und in seiner "Friedensrede" Bericht erstattete (H. Bengtson, Seite 240). Auf diese Vorgänge komme ich erst nach der Besprechung des Peloponnesischen Krieges zurück. Zu dieser Zeit wird dann Andokides mehr als vierzig Jahre älter sein als zur Zeit der obigen Seeschlachten: konventionell und auch in der neuen Sicht. Nach diesen Schlachten fuhren die beteiligten Parteien alle wieder nach Hause:
(Thuk. I, 55) Die Korinther aber nahmen auf der Heimfahrt den Ort Anaktorion, der an der Mündung des amprakischen Meerbusens liegt und Kerkyra und Korinth gemeinsam gehört, durch Verrat in Besitz ...
Es wurde jetzt das Eingreifen der Athener in die Schlacht zwischen Korinth und Kerkyra als Verstoß gegen den Vertrag und als die erste Ursache zu dem Krieg der Korinther gegen Athen bewertet.
(Thuk. I, 56) Gleich darauf fiel noch etwas anderes vor, was die Athener und die Peloponnesier entzweite und Anlass zum Kriege wurde. Korinth nämlich sann auf Rache, und die Athener, die ihre feindliche Gesinnung ahnten, ließen an Potidäa (auch Poteidaia geschrieben), eine Stadt an der Landenge von Pallene (auf der Halbinsel Chalkidike), die von Korinth gegründet, aber Athen verbündet und tributpflichtig war, den Befehl ergehen, die Stadtmauer nach der Seite von Pallene niederzureißen und Geiseln zu stellen. Ferner sollten sie die Epidamiurgen (auch Epidemiurgen geschrieben) ausweisen und künftig keine annehmen. Athen fürchtete nämlich, Potidäa würde sich durch Perdikkas und Korinth zum Abfall überreden lassen und würde auch die anderen athenischen Bundegenossen in Thrakien zum Abfall bewegen.
Zu Poteidaia (ich bevorzuge diese Schreibung) habe ich schon in dem Abschnitt über Philipp I einiges gesagt, und weiter oben habe ich schon meine Zweifel an dieser Darstellung geäußert.
Mag das letztere, was die Athener verlangen, verständlich sein; doch warum wollen die Athener eine Stadt, die mit ihnen verbündet und ihnen tributpflichtig ist, wehrlos machen anstatt sie zu stärken und gegen einen möglichen Angriff der Korinther zu wappnen? Bestand überhaupt schon eine Bundesgenossenschaft Athens mit Poteidaia? Wir sollten vorsichtig sein; denn konventionell besteht der Seebund schon, in der berichtigten Geschichte noch nicht! Es kann aber eine andere Tributpflicht gemeint sein, die sich im Zusammenhang mit der Eroberung dieser Gegend in Thrakien kurz zuvor ergeben haben kann.
Athen fürchtete nun, Poteidaia würde sich durch den König Perdikkas von Makedonien, den Sohn des Alexandros, zum Abfall von Athen bewegen lassen. Um die Stadt in diesem Falle bestrafen zu können, sollten sie die Mauern vorsorglich einreißen. Gemeint ist mit Alexandros der schwanenhalsige Alexandros Kyknos, der Vater der unechten Dioskuren Perdikkas und Philipp I. Konventionell wurde dies verkannt, worüber hier jedoch nicht mehr abgehandelt zu werden braucht.
Perdikkas war neuerdings zum Krieg gegen Athen entschlossen, obwohl er lange Athens Bundesgenosse und Freund gewesen war. Was hatte seinen Gesinnungswechsel verursacht?
Athen hatte sich mit seinem Bruder Philipp und mit einem gewissen Derdas, beides Feinde des Perdikkas, inzwischen verbündet, nachdem die Peisistratiden aus ihrem zehnjährigen Exil in Eretria auf Euböa wieder nach Athen zurückgekehrt waren (692 ndFl); denn wie schon in dem voranstehenden Unterkapitel Philipp I in neuer Sicht beschrieben wurde, war es in Athen zu einer Spaltung in zwei Lager gekommen: Pro und contra Philipp. Die Peisistratiden waren die Anführer der Partei pro Philipp.
Perdikkas sandte eine Delegation auf die Peloponnes, um neben Sparta auch Korinth für sich zu gewinnen, damit diese Poteidaia zum Abfall von Athen bewegen und so Athen in einen Krieg mit den Peloponnesiern verwickeln sollten. Die Stadt Korinth war zu der damaligen Zeit eine der mächtigsten Städte in Hellas und somit eine starke Konkurrenz für Sparta und die übrigen Städte auf der Peloponnes. Ungeachtet dessen standen die Peloponnesier geschlossen gegen die Athener, und deshalb ist der Peloponnesische Krieg nicht nur als Krieg Athens mit Sparta aufzufassen, sondern - wie der Name deutlich sagt - als ein Krieg der Athener mit den Peloponnesiern.
Perdikkas verhandelte auch mit den chalkidischen Städten in Thrakien und mit den Bottiäern, um sie zum Abfall zu veranlassen. Die Bottiäer waren die Nachbarn der Chalkidier, ehemalige Bewohner der makedonischen Landschaft Bottia, aus der sie vertrieben worden waren.
Die Athener beorderten dreißig Schiffe mit 1000 Hopliten unter der Führung des Archestratos, Sohnes des Lykomedes, und zehn (?) anderer Feldherren nach Poteidaia, um sich Geiseln geben zu lassen und die Stadtmauer einzureißen. Der Übersetzer bezweifelt die Zahl zehn, da andere Texte nur von vier bzw. zwei anderen Feldherren sprechen. Somit hätten wir auch hier wieder einen Hinweis mehr, dass mit der Überlieferung im "Polemos" Ungenauigkeiten verbunden sind.
Der Vater Lykomedes des Archestratos kann durchaus, jedoch nur in der berichtigten und nicht in der konventionellen Sicht, der Arkader gewesen sein, der den Arkadischen Bund mitbegründete (konv. 370 v.Chr.) und in der neugeschaffenen Megalopolis Mantineia residiert (Hell. VII 1, 23ff.). Auf dem Friedenskongress von Theben (konv. 366 v.Chr.) protestiert er gegen thebaische Zumutungen und schließt ein Bündnis mit Athen, das zu dieser Zeit mit Theben im Streit liegt. Auf der Heimreise wird er ermordet (Hell. VII 4, 2-3). In der neuen Sicht betreffen diese konventionellen Jahreszahlen in etwa die Jahre zwischen 700 und 706 ndFl, und sein Sohn kann jetzt rechnerisch (692 ndFl) als Feldherr in athenischen Diensten stehen. Ob er es aber wirklich tat, ist eher fraglich. Ich komme darauf zurück.
Die Poteidaier schickten Gesandte nach Athen, um die Athener umzustimmen. Sie gingen aber auch mit den Korinthern nach Sparta, um sich nötigenfalls dessen Unterstützung im Kampf mit Athen zu versichern. In Athen erreichten sie nichts, die Spartaner sagten ihnen die gewünschte Hilfe im Falle eines Angriffs der Athener auf Poteidaia zu. Sie versprachen, in Attika einzufallen, wenn Athen Poteidaia angreifen sollte.
Als sich die athenischen Schiffe Poteidaia näherten, fiel Poteidaia im Einvernehmen mit den Chalkidiern und Bottiäern von Athen ab. Perdikkas empfahl den Chalkidiern, ihre Städte an der Küste zu verlassen, zu zerstören und sich oben in Olynth neu anzusiedeln. Denen, die darauf eingingen, schenkte er für die Zeit des Krieges sogar ein Stück Land des ihm gehörenden Mygdonia am Bolbesee zur Bebauung (Thuk. I, 58). Mygdonia ist eine andere Bezeichnung für Makedonien.
Somit war, als die Schiffe der Athener ankamen, der Abfall schon vollendete Tatsache. Ihre Feldherren hielten einen Feldzug gleichzeitig gegen die Abgefallenen und Perdikkas für aussichtslos und wandten sich daher nur gegen Makedonien, gegen das sie ursprünglich ausgesandt waren. Daraus kann man schließen, dass es sich bei dieser Expedition eher um eine Unterstützung Philipps handelte, der auf den makedonischen Thron wollte, als um eine Aktion gegen die Chalkidike. Man führte also eigentlich einen Krieg gegen Perdikkas.
Die Athener begannen jetzt mit Philipp und den Brüdern des Derdas, die von Land her eingefallen waren, den Krieg und ließen die Abgefallenen zunächst links liegen. Wenn man diese Feindseligkeiten dazu rechnet, dann kommt man auf die 28 bzw. 27 1/2 Jahre, die der Krieg nach unterschiedlicher Ansicht gedauert haben soll. Möglicherweise gab es aber auch noch andere Gründe für diese Zählung, wie ich weiter unten zeigen werde.
Die Korinther schickten Freiwillige unter der Führung des Aristeus, des Sohnes des Adeimantos, der mit Poteidaia eng verbunden war. Wenn diese Herren kurz vor dem Peloponnesischen Krieg lebten, dann muss Herodot sie gekannt haben. Wenn dieser Krieg erst fünfzig Jahre nach Herodots Schriften begonnen hätte, dann könnte er darin - gleichgültig, ob Herodot so lange lebte oder nicht - kaum noch auf sie bezug genommen haben, und schon gar nicht mitten darin im siebten Buch. Ein Kopist hätte jedoch einen späteren Einschub machen können. Das muss aber nicht verlangt werden; denn da Herodot in Wirklichkeit erst nach diesem Krieg lebte, konnte er Vater und Sohn erwähnen. Er erwähnt auch den Krieg der Peloponnesier mit Athen, tut dies auch rückblickend aus der Zeit des Xerxes, aber dann schlägt doch ein Kopist zu, der "die Dinge wieder in die richtige Reihe bringen will", das heißt natürlich in die falsche:
(Herodot VII, 137) ... Lange Zeit danach (nach den zuvor geschilderten Begebenheiten aus der Zeit des Xerxes, die hier nicht unbedingt erwähnt werden müssen) ... und zwar in dem Kriege der Peloponnesier mit Athen.
Hier hat also ein späterer Kopist noch "das Schlimmste verhindern können", indem er durch den Zusatz Lange Zeit danach in die Vergangenheit gehörende Ereignisse, die hier ebenfalls nicht von Belang sind, in die Zukunft verlagerte, ohne sich dabei Gedanken zu machen, ob Herodot sie überhaupt erlebt haben könnte. Doch damit nicht genug; der Kopist verlängert die Ereignisabfolge aus der Xerxes-Zeit noch bis in die Zeit der Söhne der beteiligten Personen. Diese Söhne, Nikolaos, der Sohn des Bulis, und Aneristos, der Sohn des Sperthias, wurden - wie Herodot sagt - von den Lakedaimoniern als Gesandte nach Asien geschickt, aber unterwegs von dem Thrakerkönig Sitalkes, Sohn des Tereus (an anderen Stellen Teres geschrieben), und von dem Abderiten Nymphodoros, Sohn des Pythes, an die Athener verraten. In Attika wurden sie dann getötet, unter ihnen auch der oben erwähnte Aristeus (bei Herodot Aristeas), Sohn des Adeimantos aus Korinth. Diese tragische Begebenheit wird auch im "Polemos" geschildert (siehe weiter unten).
Der Thrakerkönig Sitalkes gehört an den Anfang des Peloponnesischen Krieges! Der Kopist verabschiedet sich von diesen Herren ausdrücklich mit den Herodot in den Mund gelegten Worten: Doch geschah dies alles erst viele Jahre nach dem Kriegszuge des Xerxes, und ich kehre zu meiner Erzählung zurück. Kann es noch einen Zweifel daran geben, dass Herodot nach dem Peloponnesischen Krieg gelebt hat?
Die Korinther erreichten die thrakische Küste vierzig Tage nach dem Abfall Poteidaias. Die Athener schickten auf die Nachricht vom Hilfszug des Aristeus noch weitere vierzig Schiffe und 2000 Hopliten unter der Führung des Kallias, des Sohnes des Kalliades, und vier anderen (Thuk. I, 60).
Zu Kallias, der dem Alkmeoniden-Geschlecht angehörte, ist folgendes zu sagen: Herodot (VI, 121) nennt dessen Vater Phainippos und den Sohn Hipponikos. Der in der falschen Chronologie befangene Kommentator ist aber der Ansicht, dass Herodot hierbei eine Verwechslung unterlaufen ist; denn die nachfolgende Angabe, die in die Zeit des Peisistratos (um konv. 530 v.Chr.) gehört, könne nicht einen Kallias betreffen, dessen Vater Phainippos Archon Eponymos im Jahr der Marathon-Schlacht (konv. 490 v.Chr.) war und dessen Sohn Hipponikos im Jahre (konv.) 426 v.Chr. einer der athenischen Strategen sein wird:
Dieser Kallias war nämlich der einzige Mann in Athen, der die öffentlich zur Versteigerung angebotenen Güter des aus Athen vertriebenen Peisistratos zu kaufen wagte. Auch sonst hat er seine Todfeindschaft gegen Peisistratos stets bewiesen.
Als Sohn des Phainippos und Vater des Hipponikos käme nach konventioneller Ansicht ein anderer Kallias in Frage, der im Jahre (konv.) 449 v.Chr. den nach ihm benannten Frieden schloss. Einen zweiten Kallias hat es vermutlich tatsächlich gegeben; aber der war nicht der Friedens-Kallias. Es handelt sich bei dem Friedensschließer immer noch um denselben Kallias, der ein Zeitgenosse des Peisistratos war. Bei dessen Vater und Sohn hat Herodot sich geirrt. An anderer Stelle, die jedoch anachronistisch und vor allem unglaubwürdig ist, wie Herodot selbst meint (VII, 151), sagt er etwas anderes:
Es weilten damals ... Gesandte der Athener in Susa, ..., nämlich Kallias, Hipponikos' Sohn, ...
Von einer Gesandtschaft der Athener nach Persien berichtet Herodot auch an einer anderen Stelle (V, 73):
... Darauf schickten die Athener eine Gesandtschaft nach Sardes, um mit den Persern ein Bündnis zu schließen. Sie dachten an ihre Feinde, die Lakedaimonier und Kleomenes. Als die Boten in Sardes ankamen und ihren Auftrag ausrichteten, fragte der Satrap von Sardes, Artaphernes, Hystaspes' Sohn, was für ein Volk es wäre und wo es wohnte, das Bundesgenosse der Perser sein wolle. Als man ihm Bescheid gab, fertigte er die Boten mit der kurzen Erwiderung ab, wenn die Athener dem König Dareios Erde und Wasser gäben, wolle er das Bündnis mit ihnen abschließen, wenn nicht, sollten sie sich fortmachen. Die Boten erklärten auf eigene Verantwortung die Bereitwilligkeit Athens, weil sie das Bündnis gern zustande bringen wollten. Als sie in die Heimat zurückkehrten, machte man ihnen schwere Vorwürfe darüber.
Wer besitzt hier die größere Naivität, Herodot oder die athenische Gesandtschaft? Ab sofort wäre Athen ein Teil des persischen Imperiums gewesen, und der Perserkrieg hätte gar nicht mehr stattzufinden brauchen; denn Erde und Wasser übergibt man nur im Falle der totalen Unterwerfung!
Die "schweren Vorwürfe" in Athen hätten eigentlich zur sofortigen Enthauptung der gesamten Gesandtschaft führen müssen. Herodot geht auf die beachtlichen Konsequenzen, die deren Vergehen gehabt haben müsste, gar nicht mehr ein. Kam der Bündnisvertrag jetzt wirklich zustande? Nein; er hat noch etwas Zeit. Herodot kommt in diesem Zusammenhang auch nicht mehr darauf zurück.
Die ersterwähnte Begebenheit (Herodot VII, 151) soll in die Zeit des Artaxerxes, des Sohnes und Nachfolgers des Xerxes, gehören. Hier ist aber größte Vorsicht geboten; denn Herodot hat lange vor dem Regierungsantritt dieses Artaxerxes (tatsächlich nicht erst dreizehn Jahre nach dem Perserkrieg, wie es konventionell heißt: 466 v.Chr., sondern nur sieben, nämlich 736 ndFl) mit seiner Geschichte schon aufgehört. Wir haben es hier mit demselben Problem zu tun wie weiter oben. Dass er nämlich ausgerechnet in seinem siebten Buch (von neun Büchern der Geschichte) noch einen späteren Vermerk angebracht haben soll, erscheint mir wenig glaubhaft. Mir kommen die Angaben in VI, 121 und VII, 151 ebenfalls wie Kopistenwillkür vor, um in diesem Falle je einen Kallias für die Zeit des Peisistratos und des Kallias-Friedens zu bekommen, die achtzig Jahre auseinander liegen müssten. Tatsächlich liegt der Kallias-Friede aber nur drei Jahre nach dem Tode des Peisistratos!
Es ist mit der Gesandtschaft nach Susa die aus dem Jahre 698 ndFl zu Darius gemeint. Das ist auch der Abschluss des Kallias-Friedens, der Jahrzehnte vor dem Perserkrieg lag und keineswegs den Friedensabschluss zu diesem Krieg nach dreißig Jahren (konv. 479-449 v.Chr.) bildete, wie konventionell angenommen wird.
Die letzterwähnte Begebenheit (Herodot V, 73) gehört in die Zeit des Kleomenes und des Artaphernes, also ebenfalls in den Peloponnesischen Krieg. Sie ist nicht mit der ersterwähnten identisch; aber sie liegen beide nicht weit auseinander: 692 und 698 ndFl.
Interessant ist an der letzterwähnten die Schilderung der politischen Verhältnisse in Persien: Darius ist zu der in Rede stehenden Zeit Unterkönig des Kyros in Chatti-Susa = Hattusas. Dieser selbst residiert weit ab in Pasargadai und wird in Kürze von seinem Sohn Kambyses gestürzt und noch in diesem Jahr 692 ndFl sterben. Die Makedonen werden dann im Jahr darauf gegen den Usurpator zu Felde ziehen (Alexander I/II beginnt seinen Indien-Zug). Der Halbbruder des Darius und Adoptivsohn des Hystaspes, der Pharnaspes-Sohn Pharnakes = Artaphernes der Ältere, sitzt als Satrap in Sardes. Wenn die Reformen des Kleisthenes endgültig in Athen eingeführt werden, wird Pharnakes = Intaphernes = Antipatros schon tot sein.
Einen gleichnamigen Enkel des Kallias hat es vermutlich dennoch gegeben; der könnte ein um 700 ndFl geborener Sohn des Hipponikos (* ca. 675 ndFl) gewesen sein, was mit der obigen Abstammung gemeint sein könnte. Der jüngere Kallias wird mit diesem Namen nicht genannt, sondern er erscheint unter einem anderen Namen des Kallias: Kallikrates. Er ist bei Herodot (IX, 72; 85) der schönste Mann Griechenlands und starb noch kurz vor der Schlacht bei Platäa (konv. 479 v.Chr., analog 729 ndFl) in der Regierungszeit des Xerxes. Zu der Zeit des Artaxerxes, des Sohnes des Xerxes, war er demnach bereits tot.
Kallias dürfte nach der Rückkehr der Peisistratiden für seine Dreistigkeit, die Güter des Peisistratos zu ersteigern, bestraft worden sein. Auf jeden Fall wird er sie wieder herausgegeben haben müssen. In den Jahren (konv.) 361/360 v.Chr. lebte Kallias unter dem Namen Kallistratos in makedonischer Verbannung bei Perdikkas, einem Gegner Philipps und somit auch der Peisistratiden.
Die Truppenführung (siehe oben) kann Kallias nur vor der Rückkehr der Peisistratiden übertragen bekommen haben, als die Zusammenarbeit mit Philipp noch wenig wahrscheinlich war. Hier dürften demnach unpräzise Angaben vorliegen. Man beachte dabei auch die merkwürdige "vorübergehende Bündnistreue" der Athener mit Perdikkas (siehe weiter unten!). Das war nicht "zwischenzeitlich", das war vor dem Bündnis mit Philipp. Erst nach Poteidaia soll es im ersten Kriegsjahr wieder zu einem Bündnis mit Perdikkas gekommen sein, wie es schon vorher in der Abwesenheit der Peisistratiden bestanden hatte.
In den Hellenika (IV 5, 13f.) wird Kallias als ein "Feldherr im Korinthischen Krieg" (konv. 395 v.Chr., analog 691 ndFl) und als Sohn des Hipponikos bezeichnet, wodurch der Eindruck erzeugt werden soll, dass es sich bei diesem Kallias, von dem auch das Finanzdekret des Jahres (konv.) 434 v.Chr. (690 ndFl) erlassen wurde und der im Jahre (konv.) 449 v.Chr. (analog 698 ndFl) den Kallias-Frieden schloss, der dann im Jahre (konv.) 424/423 v.Chr. (analog 700 ndFl) durch den Vertrag des Epilykos mit dem neuen Großkönig Darius I/II erneuert wurde, um einen Enkel desjenigen Kallias handelt, der ein Todfeind des Peisistratos war. Es handelt sich jedoch immer um denselben.
Die Familie des Kallias |
Kalliades d. Ält.
* ca. 620 ndFl
|
Kallias d. Ält. = Kallikrates, Kallistratos, Kallimachos
* ca. 645 ndFl
|
+-------------------+-------------------+
| | |
Phainippos Hipponikos Kalliades d. Jüng.
Phanomachos * ca. 675 ndFl * ca. 670 ndFl
* ca. 672 ndFl |
Kallias d. Jüng.
Kallikrates d. Jüng.
* ca. 705 ndFl + 729 ndFl |
Kallias wird im "Polemos" (I, 61f.) als Sohn des Kalliades bezeichnet, was den Tatsachen entsprechen dürfte; denn Hipponikos ist nicht der Vater des älteren Kallias, vielmehr ein zweiter Sohn des Kallias neben dem schon erwähnten Phainippos. Der Sohn des Hipponikos ist der bereits erwähnte jüngere Kallias, der nur ein kurzes Gastspiel im Perserkrieg gibt als Kallikrates II. Ein Kalliades war Archon (Eponymos?) von Athen im Jahr der Salamis-Schlacht (728 ndFl; Herodot VIII, 51). Mit ihm ist nicht mehr der Vater des älteren Kallias gemeint; denn der wäre bereits über achtzig Jahre alt (* ca. 645 ndFl), sein Vater folglich über hundert (* ca. 620 ndFl). Sollte es sich bei diesem Kalliades um einen nach seinem Großvater benannten Enkel, einen Sohn oder Neffen des Kallias handeln, dann wäre der etwa sechzig Jahre alt und gerade im richtigen Alter für einen Archonten.
Kallias war aber auch der angebliche Lakedaimonier Kallias (Hell. IV 1,15), der als "reicher Athener" indes lediglich ein Proxenos (= Gastfreund) des Spartanerkönigs Agesilaos (vermutlich noch vor dessen Königszeit) war und somit kein Anhänger der Peisistratiden gewesen sein kann. In konventioneller Sicht kann dies nicht immer derselbe Kallias gewesen sein; doch in der berichtigten Chronologie handelt es sich von der Zeit des Peisistratos (530 v.Chr.) bis zum Aufenthalt des Kallistratos in Makedonien (konv. hundertsiebzig Jahre später) stets um denselben Kallias, mit der einzigen Ausnahme des Kallias-Enkels im Perserkrieg, der konventionell dazwischenliegt (480/479 v.Chr.).
Als die Kallias-Truppe in Makedonien ankam, belagerten die Truppen des Archestratos, die die Stadt Therme bereits eingenommen hatten, dessen Nachbarstadt Pydna. Kallias schloss sich der Belagerung Pydnas an. Das gesamte Heer der Athener und ihrer Verbündeten bestand aus athenischen und bundesgenössischen Hopliten und aus makedonischen Reitern unter Philipp und Pausanias. Letzterer gehört jedoch mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nicht hierher. Wenn ein Spartaner aus königlichem Hause mit Philipp auf athenischer Seite kämpfte, dann kann es nur der von Kleomenes vertriebene Demaratos gewesen sein. Auf diesen Zusammenhang komme ich ebenfalls weiter unten wieder zurück.
Kurz darauf verbündeten sich die Truppen der Athener "notgedrungen" (Thuk. I, 61) "kurzfristig" mit Perdikkas, weil ihnen Poteidaia und Aristeus Sorgen machten (siehe dazu meine Ausführungen weiter oben!). Auf dem Landwege kamen sie nach Poteidaia. Perdikkas hatte sich inzwischen wieder von den Athenern getrennt (!) und führte die Reiterei und die Poteidaier, während Aristeus das Fußheer der verbündeten Peloponnesier befehligte. Sie erwarteten die Athener auf der Landenge von Olynth. Die Schlacht endete mit einem Teilsieg der Athener, Aristeus konnte nämlich einen Teil der athenischen Bundesgenossen in die Flucht schlagen und verfolgte sie. Schließlich musste er sich aber dennoch in die Stadt Poteidaia retten.
Aus Athen gelangte weitere Unterstützung unter Phormion, dem Sohn des Asopios, an. Die Athener begannen sofort damit, Poteidaia zu belagern. Aristeus konnte jedoch von den Athenern unbemerkt die Stadt verlassen und sich auf der Chalkidike nützlich machen.
Mittlerweile war allen Seiten klar geworden, dass sich nun ein ausgedehnter Krieg entwickeln würde, da beide Fronten verhärtet waren und jede Seite sich im Recht wähnte. Als erstes traten die Korinther in diplomatische Aktion, indem sie den peloponnesischen Bund einberiefen und die Athener anklagten, und auch die Aigineten schürten den Hass auf die Athener, mit denen sie wegen Samos im Krieg lagen, und auch die Megarer führten Klage gegen Athen, weil sie von den unter athenischer Botmäßigkeit stehenden Häfen ausgeschlossen worden waren (so gen. Megarisches Psephisma, konv. 432 v.Chr. analog 692 ndFl).
Das Eingehen auf die Reden der Korinther (Thuk. I, 68-71) und der Athener (Thuk. I, 73-78) versage ich mir aus dem schon bekannten Grund: sie alle sind reine dichterische Erfindung. Der spartanische König Archidamos soll danach eine vermittelnde Rede gehalten haben, deren Wortlaut (Thuk I, 80-85) ebenso erfunden ist wie der der anderen Reden. Als letzter hält der Ephor Sthenelades eine Rede an die Lakedaimonier und lässt die Volksversammlung abstimmen, ob die Athener den Vertrag gelöst hätten oder nicht (Thuk. I, 86-87). Mit großer Mehrheit stimmte die Versammlung mit "ja". Diese Entscheidung fiel im vierzehnten Jahr nach dem Abschluss des dreißigjährigen Vertrages, durch den der euböische Krieg beendet worden war, also dreizehn Jahre nach 679 ndFl, somit 692 ndFl, als Archidamos noch gar nicht König von Sparta war. Das wurde er erst im folgenden Jahr, in dem er auch den Krieg mit seinem Einfall in Attika eröffnete: den Archidamischen Krieg, wie der erste Teil des Peloponnesischen Krieges genannt wird.
Die Bundesgenossen der Spartaner kehrten heim, ebenso die Athener. Der Krieg war damit beschlossene Sache. Der Grund für diesen Beschluss der Lakedaimonier, dass der Vertrag gebrochen sei und der Krieg erklärt werden müsse, so meint der "Polemos"-Autor - oder ist es der Redakteur? (Thuk. I, 88) -, war weniger der Eindruck, den die Reden der Bundesgenossen auf sie gemacht hatten, als die Besorgnis vor der wachsenden Macht der Athener.
Den Anschluss an diesen eigentlichen Kriegsbeginn bildet die Pentekontaëtie (Thuk. I, 88ff.), deren ausführliche Besprechung wir bereits in diesem Kapitel vorweggenommen und mit Absatz 118 abgeschlossen haben. So überrascht es uns nicht, dass noch in diesem Absatz 118 der Anschluss an den Kriegsbeschluss in Absatz 87 wieder hergestellt wird; denn ursprünglich ging es ja hier weiter, bevor die Pentekontaëtie dazwischen geschoben wurde:
(Thuk. I, 118) ...Die Lakedaimonier hatten sich also dahin entschieden, dass der Vertrag gelöst sei und die Athener das Recht verletzt hatten. Nun schickten sie nach Delphi und fragten bei dem großen Gotte an, ob es gut sei, gegen Athen Krieg zu führen. Apollon soll die Antwort erteilt haben: wenn sie den Krieg mit Kraft führten, würde ihnen der Sieg nicht fehlen; er selber würde mitkämpfen, gerufen und ungerufen.
Wir sehen hieran zweierlei: einmal, dass der Anschluss an Absatz 87 problemlos erfolgt, und zum anderen, dass es zu allen Zeiten Gepflogenheit ist und war, die Götter in die Kriege um Macht und Wohlstand mit einzubeziehen.
Absatz 119 kann sogar als Teilwiederholung des Absatzes 87 aufgefasst werden, da hierin ebenfalls von einer neuerlichen Einberufung der Bundesgenossen (Verbündeten) die Rede ist. Auch die Klage der Korinther gegen Athen wegen Poteidaia wird wiederholt. Die Korinther halten auch jetzt, bei der zweiten Versammlung, eine Rede an die Bundesgenossen, auf die ich ebenfalls nicht weiter eingehe (Thuk. I, 120 - 124). In Absatz 125 wird sogar der Kriegsbeschluss wiederholt; und trotzdem verging über den Vorbereitungen noch fast ein Jahr, bis sie in Attika einfielen und der Krieg seinen offenen Anfang nahm.
Hier liegt einer der Gründe für die unterschiedliche Auffassung bezüglich der Länge des Krieges, die von einigen auf 27, von anderen dagegen auf 28 Jahre angesetzt wird. Wir halten fest: der Beschluss erfolgte im Jahr 692 ndFl, der Beginn der Kampfhandlungen war im Jahr 693 ndFl. Der Peloponnesische Krieg endete im Jahre 720 ndFl mit der Kapitulation Athens. Unter diesem und einigen weiteren Aspekten kann man tatsächlich von einem Kriegsbeginn schon im Jahre 692 ndFl ausgehen, wenn man auch die Ereignisse vor der Schlacht bei Poteidaia (im Herbst) dazurechnet.
Das Erste Buch des "Polemos" endet mit dem Absatz 145; es muss also noch etwas folgen, bis der Krieg im Zweiten Buch endlich losgehen kann. Zunächst sieht es so aus, als wolle der "Polemos"-Autor den weiteren Verlauf des letzten Vorkriegsjahres schildern; doch dann greift er wieder weit in die Vergangenheit zurück:
(Thuk. I, 126) In der Zwischenzeit schickten sie Beschwerde führende Gesandte nach Athen, damit sie, falls die Beschwerden zurückgewiesen würden, einen möglichst durchschlagenden Kriegsgrund hätten. Die erste Forderung der lakedaimonischen Gesandten war, die Athener sollten die Frevler gegen die Göttin Athena ausweisen.
Auf diesen so genannten Kylon- oder Alkmaioniden-Frevel geht Herodot ebenfalls ausführlich ein (siehe dazu weiter unten!). Dieser Frevel gehört ins Jahr (konv.) 636 (oder 632) v.Chr., liegt also am Beginn des Peloponnesischen Krieges in konventioneller Auffassung zweihundert Jahre zurück. An ein so ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein bei antiken Völkern möchte ich nicht glauben. In der berichtigten Geschichte liegen zwischen Kylon (659/660 ndFl) und dem Beginn des Peloponnesischen Krieges nur 32 Jahre. Das erscheint mir glaubhaft genug zu sein für eine schmerzliche Erinnerung.
Herodot hat die Begebenheiten vor diesem Krieg geschildert (V, 72ff.), hat aber möglicherweise in der chronologischen Abfolge dieser Ereignisse einiges durcheinandergebracht, indem er solche, die zur endgültigen Tyrannen-Vertreibung aus Athen und zur dauerhaften Einführung der Demokratie in Athen (die Reformen des Kleisthenes) gehören, mit solchen zusammenbringt, die ganz unzweifelhaft an den Beginn des Peloponnesischen Krieges gehören; denn die Reformen zur Einführung der Demokratie fanden erst im Anschluss an die Peisistratiden-Tyrannis statt, und unbestritten ist, dass Peisistratos zu Beginn dieses Krieges noch im Amt war - wenn es sich auch angeblich um Perikles gehandelt haben soll, was jedoch längst geklärt ist.
Es ist übrigens auffallend, dass Peisistratos im "Polemos" eine überaus bescheidene Rolle spielt, wenn man bedenkt, dass er fast die gesamte Vorgeschichte im Ersten Buch des "Polemos" ausfüllen müsste. Das gleiche kann man auch von Perikles sagen, der zumindest in der Pentekontaëtie und in den letzten Jahren vor dem Krieg, wenn er in Wirklichkeit auch gar nicht hierher gehört, häufiger genannt werden müsste. Auch hierin ist ein Zugeständnis an die Manipulationen in diesem Werk zu erkennen.
Es ist dennoch denkbar, dass sich einige der von Herodot beschriebenen Vorgänge tatsächlich schon vor der endgültigen Einführung der Demokratie in Athen abgespielt haben, und zwar im Zusammenhang mit der Rückkehr der Peisistratiden aus ihrem zehnjährigen Exil auf Euböa im Jahre 692 ndFl, in welchem Frühjahr die Langversion des Krieges dann begonnen hätte (28 Jahre). Demokratische Ideen wurden ja auch schon im Jahre 685 ndFl auf Samos verwirklicht, wenn auch nur für kurze Zeit. Auf die Peisistratiden, die zum Zeitpunkt des Kriegsbeschlusses offenbar schon wieder in Athen waren, müssen wir jetzt Obacht geben.
In vorangegangenen Kapiteln hatte ich die Geschichte der Stadtstaaten Athen und Sparta vor diesem Krieg schon ausführlich behandelt. Wir erinnern uns: Die Peisistratiden waren nach der Eroberung Euböas (durch Athen im Jahre 679 ndFl) im Jahre 682 ndFl nach Eretria auf Euböa ins Exil gegangen. Die Hintermänner dieser Vertreibung sollten wir in den Familien der Alkmaioniden und der Aiakiden suchen. Da fallen uns Namen ein wie Kleisthenes, Megakles, Kimon, Kallias und Miltiades, die als Gegner der Peisistratiden bekannt sind.
Die Alkmaioniden (Ausschnitt) |
Alkmeon d.Ält. Kleisthenes d.Ält.
* 608 ndFl * 610 ndFl
| |
Megakles d.Ält. oo Agariste d.Ält.
(Alkistenes?) * 645 ndFl
* 630 ndFl
+ ca. 685 ndFl
|
+----------------+------------------+
Alkmeon d.Jüng. Hippokrates d.J. Kleisthenes d.Jüng.
* 661 ndFl * ca. 663 ndFl * ca. 665 ndFl
(Mitfeldherr (Demokratie, Phylen;
des Demosthenes = Demosthenes, Sohn
und Großvater des Alkistenes gem. Thuk.
des Perikles) IV, 66) |
Kalliades (* ca. 620 ndFl), der Vater des Kallias (* ca. 645 ndFl), kann eventuell auch noch
ein Sohn des Alkmeon d. Ält. gewesen sein, der dann etwas früher geboren sein müsste. -
Hippokrates wird in Thuk. IV, 66 als Sohn des Ariphron bezeichnet; beide sind Großväter
des Perikles: die Tochter Agariste d.J. des Hippokrates d.J. heiratete Xanthippos, Sohn des Ariphron.
Beider Sohn war Perikles. |
Sollte sich jedoch hinter einem weiteren Peisistratidenhasser, hinter Demo-Sthenes, Sohn des Alkistenes (Thuk. IV, 66), der Sohn Klei-Sthenes des Alkmeoniden Megakles d.Ält. und Begründer der Demo-Kratie verbergen, dann kann der geistige Vater der Demokratie nicht das Jahr 704 ndFl überlebt haben, in dem Demosthenes den Tod fand. Ich halte daher die Identität des Demosthenes mit Kleisthenes dem Jüngeren noch keinesfalls für erwiesen. Es macht jedoch stutzig, dass in der antiken Literatur nur entweder von dem einen oder von dem anderen die Rede ist. Allerdings ist auch konventionell keine Gleichzeitigkeit dieser beiden Namen zu erkennen. In den Hellenika erscheint keiner der beiden Namen. Unterschiedliche Vaternamen müssen kein Hinderungsgrund für Identifizierungen sein! Alkistenes kann durchaus ein anderer Name für den Alkmeoniden Megakles d. Ält. gewesen sein, den Vater des Kleisthenes.
Wenn es erlaubt ist, nach der Identität von Kleisthenes mit Demosthenes zu fragen, dann muss es auch gestattet sein, nach der Identität des Isagoras, des Hauptgegners des Kleisthenes, mit Isokrates zu fragen, dem Hauptgegner des Demosthenes in Athen. Ich hatte weiter oben Isokrates schon mit dem Philosophen Sokrates identifiziert, der noch bis zum Jahre 725 ndFl am Leben bleiben wird. Wenn das für Isagoras ebenfalls zuträfe, dann stünde seiner Identifikation mit Sokrates nicht mehr viel im Wege.
Auch das, was jetzt in Sparta geschieht, gehört ins Jahr 692 ndFl; denn es muss noch Demaratos Mitkönig des Kleomenes sein; erst im folgenden Jahr wird Archidamos an der Stelle des Demaratos auf dem Thron sitzen. Es kann keine Vertreibung der Tyrannen mit Demaratos gegeben haben, da diese noch zu der Zeit des Archidamos in Athen waren, und folglich irrt Herodot (V, 69) auch hier wieder, wenn er meint, dass Kleisthenes durch seine Hinneigung zum Volk die Gegenpartei weit überflügelte. Das ist eine unbefriedigende, verwaschene Argumentation innerhalb des ganzen Verses; denn die neue Phylenordnung brachte dem Volk gar nichts außer schönen neuen Namen für die Phylen (= Stadtteile). Er erkennt nicht, dass jetzt wieder ein anderer Wind in Athen weht, und zwar direkt ins Gesicht der Demokraten.
Die Spartaner waren Freunde der Peisistratiden, und so ist die Vertreibung dieser Familie durch Kleomenes absolut unglaubwürdig. Ich hatte schon an einer Stelle weiter oben gesagt, dass die Alkmeoniden (Kleisthenes!) die eigentlichen Vertreiber des Peisistratos und seiner Söhne gewesen sein müssten. Hier ist nämlich nicht von einer endgültigen Vertreibung der Tyrannen die Rede, sondern nur von einer vorübergehenden, und zwar der von 682 bis 692 ndFl. Daran hatte Kleomenes keinen Anteil, weil er 682 ndFl noch gar nicht König war. Kleomenes vertrieb die Demokraten, mithin den Alkmeoniden Kleisthenes (= Demosthenes?) und dessen Anhänger, um den Weg für die Rückkehr der Peisistratiden frei zu machen.
Und daher verkennt Herodot die Situation völlig, wenn er sagt: (V, 70) Der unterlegene Isagoras suchte sich dadurch zu helfen, dass er Kleomenes von Lakedaimon herbeirief, der sein Gastfreund von der Belagerung der Peisistratiden her war; ...
Es waren die Peisistratiden selbst, die ihren Gastfreund Kleomenes zu Hilfe riefen, der aber auch noch sehr jung war (* ca. 670 ndFl). Insofern brauchen wir ihn nicht unbedingt als einen Gastfreund anzusehen; diese Formulierung geht auf Herodot zurück, der die Aktivitäten des Kleomenes allerdings nicht mit Peisistratos verbindet, sondern mit dessen Sohn und Nachfolger Hippias; und er fährt fort:
... doch warf man Kleomenes vor, dass er bei der Frau des Isagoras aus und ein ginge. ...
Was immer davon zu halten ist - sollte er ein Verhältnis mit Xanthippe gehabt haben, jener berühmt-berüchtigten Gemahlin des Sokrates = Isokrates-Isagoras?
Das Folgende kommt uns bekannt vor:
... Zuerst also schickte Kleomenes einen Herold nach Athen und forderte die Verbannung des Kleisthenes und einer Reihe anderer Athener, die er als "Blutschuldige" bezeichnete. Veranlasst war diese Forderung durch Isagoras. Denn die Alkmeoniden und ihre Partei trugen die Schuld an jenem Morde, während Isagoras und seine Freunde nicht daran beteiligt waren. Es handelt sich um den so genannten Kylon-Frevel.
Im "Polemos" hatten wir das auch schon gelesen (Thuk. I, 126; siehe weiter oben).
Hier wird noch einmal deutlich, dass es sich um dieselbe Situation handelt, die auch Demosthenes und seine Anhänger betraf, als die Peisistratiden 692 ndFl nach Athen zurückkehren wollten. Die Rolle des Isagoras erinnert an die des Isokrates bei dieser Kontroverse. Die Blutschuld der Alkmeoniden rührt von einem Ereignis her, das schon einige Jahrzehnte zurückliegt. Als nämlich nach dem misslungenen Kylon-Putsch die Rebellen bei der Stadtgöttin Athene Asyl suchten, sagten die Vorsteher der Naukrarien ihnen Straffreiheit zu. Dass sie nach dem Verlassen des Asylortes trotzdem getötet wurden, lastete man den Alkmeoniden an (Herodot V, 71). Auch der "Polemos" schildert diese ganze Geschichte (Thuk. I, 126), auf die hier nicht in allen Einzelheiten eingegangen werden soll.
Die Alkmaioniden (auch Alkmeoniden geschrieben) gehörten bekanntlich nicht zu den Freunden der Peisistratiden. So ist es vorstellbar, dass der noch nicht 30jährige Alkmaionide Kleisthenes der Jüngere in der Abwesenheit der Peisistratiden im Jahre 692 ndFl die Demokratie einführen wollte und zunächst damit scheiterte. Erst beim zweiten Anlauf (konv. 508/507 bzw. 411/410 v.Chr. analog 703/704 ndFl) konnte sich die Demokratie in Athen durchsetzen. Hat Kleisthenes das noch erlebt? In der konventionellen Sicht ist dies keine Frage.
Für Herodot bildet diese Blutschuld einen willkommenen Vorwand, das Eindringen der Spartaner in Athen zu rechtfertigen. Nachdem Kleisthenes geflohen war (Herodot V, 72), erschien Kleomenes in Athen und vertrieb siebenhundert als blutschuldig erkannte athenische Familien, die von Isagoras benannt worden waren. Dessen Parteigängern wurden jetzt die Ämter in der Stadt zugewiesen, doch seine damit einhergehende Auflösung wollte sich der Rat nicht gefallen lassen. Als sich Kleomenes, Isagoras und dessen Anhänger der Akropolis bemächtigten, schlug der Rat zu und belagerte sie zwei Tage lang. Dann schloss man einen Vertrag, und die Lakedaimonier verließen die Stadt und ganz Attika.
Diese in allen Punkten wenig glaubhafte Geschichte (was machte das spartanische Heer, während Kleomenes auf der Akropolis eingeschlossen war?) gipfelt bei Herodot in der Feststellung: Die anderen Athener wurden gefangengesetzt und hingerichtet, unter ihnen auch Timesitheos aus Delphi, von dessen kraftvollen und mutigen Taten ich sehr viel erzählen könnte (V, 72). Das befriedigt in keiner Beziehung.
Hier wird die Tatsache verkannt, dass der Rückkehr der Peisistratiden die Aktivitäten der Spartaner in Athen voraufgingen, die die Demokraten auf der Akropolis belagerten und, nachdem diese auf freien Abzug kapituliert hatten, in die Verbannung schickten. Zurückgerufen wurden Kleisthenes und die siebenhundert verbannten Familien von den Peisistratiden mit Sicherheit nicht, wie Herodot (V, 73) meint.
Schon vor ihrer Verbannung hatten die Peisistratiden die Alkmaioniden aus der Stadt gejagt. Offenbar hatte deren Rückkunft das Exil der Peisistratiden zur Folge:
(Herodot V, 62): ... Nun waren die Alkmeoniden, eine athenische Familie, von den Peisistratiden verbannt worden. Da ihr Versuch, mit anderen Verbannten zusammen die Rückkehr mit Gewalt zu erzwingen, nicht gelang, da sie bei diesem Versuch, Athen zu befreien, sogar eine schwere Niederlage erlitten, befestigten sie den Ort Leipsydrion, nördlich von Paionia (Kommentator: Ein Gau in der Ebene nördlich von Athen. Das Geschlecht gehörte zu den reichen attischen Großgrundbesitzern.) Von hier aus setzten die Alkmeoniden alles gegen die Peisistratiden in Bewegung. Sie ließen sich von den Amphiktyonen den Bau des heutigen Tempels in Delphi, der damals noch nicht stand, übertragen. Da sie reich und ein altes angesehenes Geschlecht waren, führten sie den Bau großartiger aus, als der Plan vorschrieb. So nahmen sie zum Bau der Vorderseite Marmor, nicht Porosstein, wie durch den Vertrag abgemacht war.
Dieser Tempelbau liegt demnach in der Zeit, als die Peisistratiden noch nicht nach Eretria ins Exil gegangen waren. Möglicherweise wurde auch das Gold, das Alkmaion bei Kroisos erhalten hatte, mit dazu verwendet. (Zum Tempelbau und zur Amphiktyonie siehe auch das vorangegangene Kapitel!)
Der Hinweis, dass der Apollo-Tempel zu der damaligen Zeit noch nicht gestanden habe, ergäbe zur Zeit der Alleinherrschaft des Hippias (702-704 ndFl) keinen Sinn. Herodot fährt fort:
(V, 63) Die Athener erzählen, die Alkmeoniden hätten während ihres Aufenthalts in Delphi die Pythia bestochen, sie sollte alle Spartaner, die in persönlichen Angelegenheiten oder im Auftrage des Staates nach Delphi kämen, um das Orakel zu befragen, zur Befreiung Athens (Eig.Anm.: von der Tyrannis der Peisistratiden) aufrufen.
Bestechung der Pythia, der Priesterin des delphischen Orakels, war damals offenbar gerade mal ein Kavaliersdelikt; denn sie wurde auch von anderen immer wieder praktiziert.
Wenn aber die Spartaner bei Herodot aus Verärgerung über immer wieder dieselben Orakelsprüche ein Heer gegen die Peisistratiden schicken, dann ist das nicht sonderlich überzeugend; denn es waren ja deren Gegner, die die Pythia bestochen hatten. Auffallend ist nur, dass ausgerechnet jetzt, zur Zeit des amphiktyonischen "Heiligen" Krieges, in dessen Verlauf auch von den Athenern goldene Schilde im noch nicht geweihten Tempel aufgehängt werden, all solches geschieht. Man wird den Eindruck nicht los, dass es sich hierbei um Maßnahmen handelte, die mit zum Ausbruch des "Heiligen", des amphiktyonischen und des Bundesgenossenkrieges beitrugen. Nicht zuletzt waren auch die Thessaler, also Philipp I, in diese Streitigkeiten einbezogen:
(Herodot V, 63) Die Peisistratiden ... hatten Hilfe aus Thessalien geholt. Mit den Thessalern hatten sie nämlich ein Bündnis geschlossen. Auf ihre Bitte sandten die Thessaler nach einmütigem Entschluss tausend Reiter mit ihrem König Kineas aus Konion. Nun führten die Peisistratiden den Krieg auf folgende Weise. ...
Offensichtlich ist Herodot wieder einige Schritte in der Zeit zurückgegangen, und zwar aus der Hippias-Zeit in die Zeit, in der Peisistratos noch der Herrscher von Athen war. Das heißt, er befindet sich am Beginn des Krieges. Wer dieser Kineas aus Konion war, kann ich derzeit nicht sagen. Der "einmütige Beschluss" erinnert mich aber an die Beauftragung Philipps durch die Thessaler zur Führung des amphiktyonischen Krieges. Sollte Philipp mit dem sonst nicht bekannten Kineas gemeint sein?
Der erste Angriff der Spartaner unter einem ebenfalls so gut wie unbekannten "angesehenen Spartiaten" Anchimolios, dem Sohn des Aster, der die Peisistratiden aus Athen vertreiben sollte, obwohl sie mit ihnen eng befreundet waren, war ein Fehlschlag. Mir erscheint auch die Begründung dafür, warum die Spartaner die mit ihnen befreundeten Peisistratiden für ein Vergehen bestrafen wollen, das von deren Feinden, den Alkmeoniden, begangen wurde, äußerst dürftig zu sein: Die Pflichten gegen die Götter hielten sie höher als die gegen die Sterblichen. Ich bin vielmehr der festen Überzeugung, dass sich dieser erste Kriegszug der Spartaner in diesem Krieg gegen die Bestrebungen des Alkmeoniden Kleisthenes d.J. richtete, der in Abwesenheit der Peisistratiden Reformen in Athen durchführen wollte. Die Thessaler können aber durchaus von den im Exil auf Euböa festsitzenden Peisistratiden gedungen worden sein gegen die Alkmeoniden. Möglicherweise hat Herodot hier den totalen Überblick verloren.
"Demokratie" war auch für die spartanische Doppelmonarchie ein Reizwort. Daher sind die nun folgenden Aktivitäten der Spartaner gegen die Reformversuche des Kleisthenes d.Jüng. verständlich, und dabei handelten sie gewiss auch im Sinne der Peisistratiden, denen sie womöglich sogar zur Rückkehr nach Athen verhelfen wollten. Sie waren ja - wie Herodot sagt - miteiander befreundet.
Herodot knüpft den offensichtlichen Beginn des Peloponnesischen Krieges (Langversion) an die Ermordung bzw. Hinrichtung des Hipparch(-Phokion) an, die ins Jahr 702 ndFl gehört. Er hat meines Erachtens nicht bedacht, dass alle Ereignisse, die er daran anschließt, nicht in die Zeit dessen Bruders und Nachfolgers Hippias(-Demades) passen, der erst im Jahre 704 ndFl endgültig aus Athen vertrieben werden wird. Folglich betreffen die von Herodot beschriebenen Vorgänge die Zeit, in der die Peisistratiden wieder zurück nach Athen kamen und die Demokraten vertrieben (692 ndFl).
Wir befinden uns immer noch im Jahr 692 ndFl, in dem die Langversion des Peloponnesischen Krieges mit dem ersten, dem gescheiterten Zug gegen Athen, schon begonnen hat und nun mit stärkerem Aufgebot fortgesetzt wird:
(Herodot V, 64) Jetzt schickten die Lakedaimonier ein größeres Heer gegen Athen und stellten an dessen Spitze den König Kleomenes, Sohn des Anaxandrides... Als es in Attika eindrang, kam es zunächst zu einem Treffen mit der thessalischen Reiterei, die aber bald kehrt machte... Kleomenes zog in die Stadt ein und belagerte gemeinsam mit den frei gesinnten Athenern die Tyrannenpartei, die sich in die pelargische Burg zurückgezogen hatte.
Das Pelargikon war die Burg der Peisistratiden auf dem Hügel, auf dem später die Akropolis gebaut wurde. Zu der damaligen Zeit standen neben der pelargischen Burg nur der Tempel der Athena polias und das alte Erechtheion. Bis auf letzteres wurden alle Gebäude später abgerissen und durch die noch heute erkennbare Akropolis ersetzt.
Herodot verblüfft uns mit einer unerwarteten Wendung: (65) Aber die Lakedaimonier ... wären nach wenigen Tagen heimgekehrt nach Sparta, wenn nicht ein Ereignis eingetreten wäre, das für ... die Belagerer ein Glück war. Die Söhne des Peisistratos wurden bei einem heimlichen Fluchtversuch aus Attika gefangengenommen.
Das ergibt doch keinen Sinn. Hier wird die Demokratenpartei belagert, die sich auf das Pelargikon zurückgezogen hat, und nicht die befreundeten Peisistratiden, die noch gar nicht wieder in der Stadt sind! Herodot, der Verdreher und Verwechsler, hat hier kräftig zugelangt. Die Flucht der Söhne des Peisistratos gehört an eine andere Stelle, an der der Vater schon tot ist, vermutlich sogar in das Jahr dessen Todes selbst (695 ndFl).
Die Spartaner hatten die Burg, auf die sich die Demokraten zurückgezogen hatten, nicht einnehmen können und gaben die Belagerung wegen Sinnlosigkeit auf; denn die Demokraten hatten sich gut bevorratet. Herodot meint jetzt konsequent - aus seiner falschen Sicht -, dass die Stadt nun von den Tyrannen befreit und in den Händen zweier mächtiger Männer sei, nämlich des Alkmeoniden Kleisthenes und des Isagoras, eines Sohnes des Teisandros aus angesehenem Hause, dessen weitere Herkunft er jedoch nicht angeben könne. Der eine, nämlich Kleisthenes, war vorher belagert gewesen und konnte sich nach dem Abzug der Spartaner wieder frei in Athen bewegen. Der andere, sein Gegenspieler, der sich ebenfalls in der Stadt aufhielt, sehnte die Rückkehr der Peisistratiden herbei, die schon bald nach dem Abzug der Spartaner in Athen Einzug hielten.
Es kann sich bei Teisandros um den Vater des reichen und schönen Hippokleides aus Athen handeln, der seine Hochzeit bei Kleisthenes d.Ält. in Sekyon (im Jahre 660 ndFl) "vertanzte" (Herodot VI, 127ff.) und dies mit der zum Sprichwort gewordenen Bemerkung quittierte "Das kümmert Hippokleides nicht!" Insofern wäre Isagoras ein Bruder dieses Tänzers gewesen, was Herodot eigentlich hätte auffallen müssen. Isagoras, wenn er mit (I)Sokrates identisch sein sollte, müsste um 654 ndFl geboren und mittlerweile etwa achtunddreißig Jahre alt sein.
Herodot fährt fort: (V, 66) ...Diese beiden Männer kämpften um die Herrschaft. Da Kleisthenes unterlag, begann er, das niedere Volk auf seine Seite zu ziehen.
In Wirklichkeit bahnt sich hier die Rückkehr der Peisistratiden aus dem Exil auf Euböa an, die Herodot (I, 61ff.) auf seine Weise schildert:
Sie verschafften sich Unterstützung und sammelten Beiträge von den Städten, die ihnen von früher her geneigt waren. Große Geldmittel kamen zusammen, und am reichlichsten gaben die Thebaner. ... Argeiische Söldner kamen aus der Peloponnes, und aus freien Stücken kam ein sehr eifriger Anhänger aus Naxos, namens Lygdamis, und brachte Geld und Leute mit. (62) Sie brachen von Eretria auf und kehrten im elften Jahr ihrer Verbannung nach Attika zurück.
Die erste Stadt, die sie einnahmen, war Marathon. Und als sie dort lagerten, stießen ihre Anhänger aus Athen zu ihnen, ... denen die Tyrannenherrschaft erwünschter war als die Freiheit. ... Die Athener in der Stadt waren sorglos geblieben, ... Als sie aber erfuhren, er zöge von Marathon aus gegen Athen heran, da rückten sie ihm entgegen. Mit dem ganzen Heerbann zogen sie aus und, ... trafen sie bei dem Tempel der Athena Pallenis auf die Feinde. Dort lagerten sie sich einander gegenüber.
Nachdem der Seher Amphilytos aus Akarnania Peisistratos ein günstiges Orakel verkündet hatte, führte dieser sein Heer gegen die überraschten Stadtathener und schlug sie in die Flucht, und abermals gewann Peisistratos Athen durch eine List:
(63) ... Er hieß seine Söhne aufsitzen und schickte sie voraus. Sie erreichten die Fliehenden und sagten ihnen in Peisistratos' Namen, sie möchten ganz ohne Furcht sein, und jeder solle sich nach Hause begeben.
Die Söhne jener Athener, die in dem letzten Kampf Widerstand geleistet hatten, brachte er als Geiseln nach Naxos unter die Obhut des Lygdamis. Einige Athener waren gefallen, andere waren mit den Alkmeoniden außer Landes gegangen. In I, 65 stellt Herodot eine Synchronverbindung zu Kroisos her, die jedoch anachronistisch ist; denn Kroisos ist zu diesem Zeitpunkt schon seit fünf Jahren entmachtet und könnte die Nachricht von der Eroberung Tegeas durch die Spartaner bestenfalls während des Exils der Peisistratiden erhalten haben, nicht jedoch danach.
Peisistratos soll dann die Insel Delos entsühnt haben, indem er die Toten rings um den Tempel ausgraben und an einer anderen Stelle der Insel begraben ließ.
Nachdem die Peisistratiden in Athen das Regiment wieder übernommen hatten (692 ndFl), begannen für die Freunde der Tyrannen und der Thessaler bessere Tage, während die Gegner der mit dem Thessaler Philipp liebäugelnden Herrscherfamilie die Stadt verließen. Wenn Herodot nun die Phyleneinteilung beschreibt, die Kleisthenes in Athen vorgenommen hat (er ersetzte die ursprünglichen vier Phylen durch zehn neue), dann kann das nicht zu dieser Zeit geschehen sein, sondern gehört in die Abwesenheit der Peisistratiden. Herodot kommt hier in eine Klemme, da er alle diese Ereignisse in der Zeit nach der Tyrannis der Peisistratiden ansiedelt.
Auf ein Bündnis mit Persien, das die Athener jetzt abgeschlossen haben sollen, kommt Herodot (V, 73; siehe weiter oben!) gar nicht mehr zu sprechen; statt dessen sagt er:
(V, 74) Kleomenes ... versammelte in der ganzen Peloponnes ein Heer. Den Zweck verschwieg er, doch wollte er an dem athenischen Volk Rache üben und Isagoras zum Tyrannen von Athen machen.
Dieses Argument ist anwendbar auf die Situation vor den oben schon beschriebenen Vorgängen. Es bedeutet, dass sich Kleomenes jetzt auf den ersten Einfall in Athen vorbereitet, der zur Vertreibung des Kleisthenes geführt hat. Dieser Angriff war tiefer gestaffelt als nur gegen die Akropolis gerichtet. Damit erledigt sich auch der Unsinn, dass Kleomenes und Isagoras auf der Akropolis belagert waren.
Er fiel also mit einem großen Heere in Eleusis (zwischen Athen und dem Isthmus gelegen) ins Land, und die Boioter eroberten der Verabredung gemäß die Grenzdörfer Attikas Oinoë und Hysiai (an der boiotischen Grenze am Kithairon-Gebirge). Auf der anderen Seite griffen die Chalkidier an und verwüsteten die attischen Felder. Die Athener, von mehreren Seiten bedrängt, beschlossen, sich gegen die Boioter und Chalkidier erst später zu wenden, und zogen den Peloponnesiern nach Eleusis entgegen.
Mag diese Art der Kriegsführung auch befremden, da die Athener soeben im Begriff sind, ihre Stadt den Boiotern geradezu auf dem Präsentierteller anzupreisen, so wirkt das, was nun folgt, ausgesprochen kindisch. Man wähnt sich auf einem Spielplatz:
(Herodot V, 75) Als die Schlacht beginnen sollte, überlegten zuerst die Korinther, dass der Krieg eigentlich ungerecht sei, machten kehrt und zogen davon...
Und jetzt kommt die Stelle, die für die zeitliche Einordnung aller dieser Ereignisse besonders wichtig ist:
Ihnen folgte Demaratos, der Sohn des Ariston, der zweite König von Sparta und Mitfeldherr des lakedaimonischen Heeres. Vordem war er mit Kleomenes nicht uneins gewesen; ...
Es handelt sich bei dem Einfall der Boioter, Korinther und Spartaner in der Hauptsache wohl um das Versprechen, dass diese Staaten den Poteidaiern gegeben hatten, nämlich in Attika einzufallen, wenn Athen Poteidaia angreifen sollte.
Bevor wir den Fortgang der Ereignisse im "Polemos" weiterverfolgen, müssen wir festhalten, dass das eigenmächtige Vorgehen des Demaratos bei Eleusis einen entscheidenden Grund für seine Absetzung lieferte:
(Herodot VI, 64): Nach einiger Zeit starb Ariston, und Demaratos wurde König. Aber das Schicksal wollte, dass jenes Wort ruchbar wurde und ihn des Thrones beraubte. Mit Kleomenes war er völlig zerfallen. Erst hatte Demaratos jenes Heer aus Eleusis zurückgeführt, und jetzt hatte er Kleomenes verleumdet, als dieser die persisch Gesinnten in Aigina züchtigen wollte.
Was nun folgt, ist die Rache des Kleomenes an Demaratos. Dazu gehört natürlich eine Vorgeschichte, und die habe ich bereits im 3. Kapitel des IX. Buches besprochen. Auf die entscheidenden Passagen nehme ich hier noch einmal bezug:
Die Tatsache, dass zu Beginn des Peloponnesischen Krieges auf beiden spartanischen Thronen Agiaden sitzen, nämlich Archidamos und Kleomenes, verlangt nach einer Erklärung. Die Schlüsselfigur hierfür heißt Leotychides. Und zwar ist der Vater der Lampito gemeint (Herodot VI, 71), also der ältere, und nicht der Zeitgenosse des Perserkrieges (Herodot VIII, 131), der ein Sohn des Agis war.
Agiaden werden zu Eurypontiden |
Prokles (Eurypontiden) Atreus-Diaktorides (Agiaden)
| |
| +----------------------+
| Menares = |
Tochter Menelaos oo Helena Agamemnon
* ca. 610 ndFl * ca. 598 * ca. 612 |
oo Aristodemos ndFl ndFl Tochter oo
* ca. 600 ndFl reg.: 628-636 ndFl Archidamos
| | |
| +---+--------------+ Agesilaos
| | | * 646 ndFl
Hegesikles = Hegesilaos | Leon
* ca. 628 ndFl | * ca. 626 ndFl
reg.: 650-675 ndFl | reg.: 650- ca.
oo Tochter * ca. 635 ndFl | | 680 ndFl
| des Demaratos d.Ält. | |
| (Corintus) * ca. 610 ndFl | |
+---------------+ | |
| | | |
Ariston Tochter oo Leotychides Anaxandrides
* ca. 650 ndFl * ca. 650 d. Ält.* * ca. 648 ndFl
reg.: 675-691 | ndFl * ca. 630 ndFl reg.: ca. 680
| ndFl | | -690 ndFl
oo "hässliches Lampito oo Archidamos |
| Entlein"? * ca. 665 * ca. 623 |
| * ca. 659 ndFl (626?) ndFl |
| ndFl | |
| | |
Demaratos d.J. Agis Kleomenes
* ca. 672 ndFl * ca. 680 * ca. 670 ndFl
reg.: 691-692 ndFl; + 725 ndFl reg.: ca. 690-
auf ihn folgt Archidamos | ... ndFl
Leotychides d.J.
* ca. 705 ndFl
+ nach 728 ndFl |
*Leotychides d.Ält. kann nicht mit Leon identisch sein. Er hat
aber kurze Zeit nach Demaratos d.J. und noch vor Archidamos
regiert.
|
Ursprünglich saß auf dem Eurypontidenthron Demaratos, der Sohn des Ariston; auf dem Agiadenthron saß seit dem Tode des Anaxandrides dessen Sohn Kleomenes. Die beiden Väter waren Zeitgenossen des Kroisos gewesen, die Söhne saßen beide schon auf ihren Thronen, als der Peloponnesische Krieg begann. Das klingt zunächst befremdlich, weil der erste Teil dieses Krieges unter dem Namen Archidamischer Krieg geführt wird und mit dem Einfall des Archidamos in Attika begonnen haben soll. Möglicherweise liegt hier aber eine Erklärung dafür vor, dass von einigen die Dauer dieses Krieges mit 28 statt - wie üblich - mit 27 1/2 Jahren angegeben wird; denn Herodot schildert den Beginn dieses Krieges, der nach konventioneller Ansicht überhaupt nicht in seine Berichtszeit gehört, bereits in Buch V und erwähnt dabei Taten bzw. Vergehen des Demaratos, auf die er in seinem Buch VI zurückkommt. Das bedeutet doch, dass Demaratos noch König war, als der Krieg begann. Das harmoniert auch mit der oben getroffenen Feststellung, dass in der Begleitung des Philipp in der Schlacht bei Poteidaia im Spätsommer 692 ndFl Demaratos sich befand, der im Laufe dieses Jahres seinen Thron verloren hatte. Der Wechsel zu Archidamos muss kurz danach stattgefunden haben, da Archidamos schon im Frühjahr 693 ndFl in Attika einfiel.
Als Grund für den Wechsel führt Herodot die oben bereits angesprochene Rache des Kleomenes an Demaratos an, die mehrere Ursachen gleichzeitig hatte. Eine davon war die Verleumdung, die Herodot zweimal erwähnt, einmal in VI, 50 (s. o.) und einmal in VI, 61:
Während also Kleomenes in Aigina war und zum Besten von ganz Hellas wirkte, verleumdete ihn Demaratos, weniger aus Liebe zu den Aigineten als aus Hass gegen Kleomenes. Als Kleomenes aus Aigina zurückkehrte, beschloss er daher, Demaratos aus dem Königsamt zu entfernen ...
Diese Angabe ist verwaschen; was heißt "zum Besten von ganz Hellas"? Das Jahr 687 ndFl ist zu früh für Kleomenes und Demaratos, und der Zeitpunkt, um den es geht, nämlich das Jahr 692 ndFl, ist zu spät für ein Eingreifen Spartas auf Aigina, das jetzt mit Athen und nicht mit Sparta verfeindet ist. Es ist zudem ohne Bedeutung, ob die Verleumdung des Demaratos mit einer Aktion gegen Aigina zusammenhing. Sie kann in einen ganz anderen Zusammenhang gehören, von dem wir nichts wissen. Möglicherweise ist der einzige äußere Anlass für diese Rache der Rückzug des Demaratos bei Eleusis.
Herodot (VI, 65) Als Kleomenes an seine Rache ging, einigte er sich mit Leotychides, dem Sohn des Menares, Enkel des Agis, der demselben Hause angehörte wie Demaratos, dahin, dass er ihn an Stelle des Demaratos zum König machen wollte.
Herodot ist hier nicht präzise; denn Leotychides d.Ält. war zwar der Sohn des Menares, also des Menelaos; aber er war kein Enkel des Agis. Leotychides der Ältere gehörte keineswegs demselben Hause an wie Demaratos (siehe vorstehende Tabelle!). Entweder Herodot oder seine schon viel zitierten späteren Kopisten haben hier Verwirrung gestiftet. Der etwa sechzigjährige Leotychides kann noch vor seinem Schwiegersohn Archidamos für eine sehr kurze Zeit auf den Thron gekommen sein.
Da man (in Delphi?) beschlossen hatte, dass das Geschlecht des Archidamos durch dessen Heirat mit der Eurypontiden-Tochter Lampito eurypontidisch geworden sei, galt von nun an für Archidamos, Agis und Leotychides d.Jüng., dass sie demselben Hause wie Demaratos angehörten. Auf diese Weise war das Problem mit den Königen aus zwei unterschiedlichen Häusern elegant gelöst. Erst mit Agesilaos kamen dieselben Schwierigkeiten erneut auf, da dieser ein Sohn des Archidamos mit einer Tochter des Agiaden Agamemnon war, also vorab kein Eurypontide. Deshalb folgte auf Archidamos auch zunächst sein jüngerer Sohn Agis. Nach dessen Tod schaltete Agesilaos seinen Neffen Leotychides aber aus und stieg - schon betagt - selbst auf den Thron. Erst nach dem Tode des Agesilaos konnte Leotychides d.Jüng. für kurze Zeit auf den Thron steigen. Diese Thronwechsel liegen alle erst kurz vor dem Perserkrieg.
Das Instrument der Rache des Kleomenes bestand darin, dass er sich eine Äußerung zunutze machte, die Ariston, der Vater des Demaratos, kurz nach dessen Geburt getan hatte, indem er Demaratos als nicht legitimen Sohn bezeichnete. Ariston hatte diese Behauptung zwar später zurückgenommen, doch trotzdem griff Kleomenes aus Wut über das Verhalten seines Mitkönigs diese Aussage wieder auf:
Herodot (VI, 64): Nach einiger Zeit starb Ariston, und Demaratos wurde König. Aber das Schicksal wollte, dass jenes Wort ruchbar wurde und ihn des Thrones beraubte.
Demaratos wurde vom Orakel von Delphi, das von Kleomenes bestochen worden war, als nicht thronberechtigt bestätigt. Das entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie; denn wir befinden uns hier in der Zeit des "Heiligen" amphiktyonischen Krieges, in dem der Tempel von Delphi eine tragende Rolle spielt (689-691 ndFl). Ob nun diese Korruption auf irgendeine Weise mit dem Krieg zu tun hatte oder mit der Bestechung der Pythia durch die Alkmeoniden, bleibt offen, ist aber eher unwahrscheinlich. Später wurde dieser Betrug dem Kleomenes zum Verhängnis. Archidamos wurde jedenfalls - nach kurzer Regierung des Leotychides d.Ält. - neuer König von Sparta neben Kleomenes.
Demaratos ging nach Persien zu König Darius, der zu dieser Zeit jedoch noch nicht Großkönig gewesen sein kann; denn das wurde er erst im Jahre 700 ndFl. Es ist allerdings vorstellbar, dass Demaratos erst einige Jahre nach seiner Absetzung an den persischen Hof ging (vgl. Hellenika III 1,6 und Anm. 7!). Bekanntlich war er im Herbst des Jahres seiner Absetzung (692 ndFl) bei Poteidaia ein Bundesgenosse des Philipp I. Später hat er bei der Thronfolge nach Darius (oder nach Kyros d.J. oder nach Artaxerxes Mnemon?) eine wichtige Rolle gespielt.
An anderer Stelle zeigt Herodot, wie es unmittelbar nach diesen Ereignissen weiterging:
(Herodot V, 75) ... aber seit dem Streit, der sich jetzt zwischen ihnen (gemeint sind Demaratos und Kleomenes) entspann, wurde in Sparta gesetzlich verboten, dass beide Könige mit einem Heere zu Felde zögen, was bisher der Fall gewesen war. Und mit dem einen König sollte auch einer der Tyndariden daheim gelassen werden; bisher waren ... beide als Helfer und Beschützer zum Mitzuge aufgeboten worden.
Hier ist meines Erachtens schon von Herodot ein großes Missverständnis verursacht worden, das aber ebensogut durch spätere Kopisten und Interpreten erst aufgebracht worden sein könnte. Auch der Kommentator zu vorstehendem Text bewegt sich innerhalb dieses Vorurteils, wenn er dazu anmerkt: "Tyndariden" ist ein anderer Name für die Dioskuren. Die Dioskuren waren die Stammgötter der Dorier (sonst auch Dorer geschrieben). Die Bemerkung Herodots ist so zu verstehen, dass von dieser Zeit an bei Beginn eines Krieges in den Gebeten des ausziehenden Heeres nicht mehr beide Dioskuren, sondern nur einer von ihnen als Nothelfer angerufen werden sollte. Nach dem Glauben der Spartaner begleitete er dann das Heer während des Feldzuges.
Gemeint ist mit der Mitnahme des einen und der Zurücklassung des anderen Dioskuren der jeweilige König; denn beide Könige sind Nachfahren der echten Dioskuren, der Söhne des Aristomachos-Tyndaros, des dorischen Zeus-Dion. So stammen die Eurypontiden letztlich von Aristodemos ab, während die Agiaden sich von Zeuxidamos herleiten. Aristodemos und Zeuxidamos sind die richtigen Dioskuren; Kastor und Pollux wurden später zu Dioskuren hochstilisiert und waren keine echten Lakedaimonier und somit auch nicht geeignet, Stammgötter der Spartaner oder der Dorer zu werden. Da aber später die echten Dioskuren aus dem Bewusstsein der Zeitgenossen Herodots schon weitgehend verschwunden waren, so konnten Missverständnisse der obigen Art nicht ausbleiben.
Es fällt auch auf, dass erst jetzt von einer "Mitnahme der Dioskuren" gesprochen wird; offenbar trug die Tatsache, dass Archidamos ein Sohn des Dioskuren Zeuxidamos war, zu seiner Ernennung zum Mitkönig viel mehr bei als die andere Tatsache, dass er durch die Heirat mit Lampito zu einem Eurypontiden geworden war. Die älteren Stammväter waren mittlerweile in ihrer Bedeutung weit hinter die (echten) Dioskuren zurückgefallen. Das sehen wir auch bei Herodot, wenn er die Stammväter Prokles (der Eurypontiden) und Eurysthenes (der Agiaden) zu Zwillingssöhnen (!) des Aristodemos macht, eines echten Dioskuren, was natürlich unzutreffend ist. Streng genommen waren die Agiaden erst seit Archidamos Nachfahren des Zeuxidamos und in Agis sogar mit der Eurypontidenlinie des Aristodemos vereinigt. Kleomenes war zwar ein Agiade, aber seine Herkunft von Zeuxidamos ist nicht ersichtlich; es sei denn, sein Großvater Leon wäre mit einer Tochter des Zeuxidamos verheiratet gewesen, die dann die Mutter des Anaxandrides geworden wäre. Keine leichte Aufgabe für das Orakel von Delphi!
Nach dem offensichtlich nicht von Herodot verfassten Vers V, 76 (er "riecht" förmlich nach einer Eigeninterpretation eines Kopisten, zumindest der letzte Teil), auf den ich hier nicht eingehen möchte, geht der Krieg weiter, obwohl sich alle Feinde der Athener nach Hause begeben hatten:
(Herodot V, 77) Die feindliche Heeresmacht hatte sich ruhmlos aufgelöst. Da wollten die Athener nun Rache üben und unternahmen zunächst einen Zug gegen Chalkis (Stadt auf Euböa am Euripos, der Meerenge zwischen Boiotien und der Insel Euböa). Die Boioter rückten, um die Chalkider zu unterstützen, an den Euripos. Als die Athener das sahen, beschlossen sie, zunächst die Boioter anzugreifen. Es kam zum Kampfe, und die Boioter wurden völlig geschlagen. ... Noch am selben Tage rückten die Athener in Euböa ein, stießen mit den Chalkidern zusammen und besiegten auch sie. Viertausend athenische Bürgerkolonisten ließen sie auf den Äckern der Hippoboten (Großgrundbesitzer) zurück.
Diese Begebenheit betrifft die Eroberung Euböas vierzehn Jahre vor dem Peloponnesischen Krieg (679 ndFl). Sie hat an der von Herodot gewählten Stelle ebensowenig Sinn wie im Zusammenhang mit dem Peloponnesischen Krieg. Dagegen gehört die folgende Passage durchaus wieder in die in Rede stehende Zeit:
(Herodot V, 89) Außerdem wurden sie (die Spartaner) durch Orakelbücher aufgeregt, die von vielem Unheil sprachen, das ihnen von Athen her kommen würde. Diese Weissagungen erfuhren sie erst durch Kleomenes, der sie nach Sparta mitbrachte. Kleomenes hatte sie auf der Akropolis in Athen gefunden; denn vorher waren diese Orakelbücher im Besitze der Peisistratiden gewesen, die sie nach ihrer Vertreibung in dem Heiligtum hatten liegen lassen. Kleomenes fand sie und nahm sie mit.
Unter Berufung auf diese Weissagungen wollen die Spartaner ein Bundegenossen-Heer gegen Athen aufstellen (Herodot V, 91) und den Peisistratiden die Rückkehr nach Athen ermöglichen. Mit äußerst schwachen Argumenten projiziert Herodot diese Ereignisse in die Zeit der Alleinherrschaft des Hippias, was nun nicht mehr verwundert.
Als Soklees, der Vertreter der Korinther, davon erfährt, dass der Tyrann (Hippias, gemeint ist aber in Wirklichkeit Peisistratos) zurückgeholt werden soll, hält er eine (fiktive) Rede gegen die Tyrannis. Dann verliert sich Herodot wieder einmal in wundersamen Geschichten, diesmal auch in Geschichte um Korinth, um dann endgültig in der späteren Zeit zu enden; denn erst Jahre später wurde der aus Athen vertriebene Hippias von den Spartanern zurückgeholt. Diese Ereignisse sind bei Herodot völlig mit denen zur Zeit des Peisistratos durcheinander geraten.
Nach der Schilderung des Kylon-Putsches geht der "Polemos" wieder auf die Ereignisse im Jahre 692 ndFl ein:
(Thuk. I, 127) Diese "Frevler" waren es, deren Vertreibung die Lakedaimonier forderten. ... der wahre Grund war ein anderer: sie wussten, dass Perikles, der Sohn des Xanthippos, von mütterlicher Seite her zu diesem Geschlecht gehörte, und sie glaubten, nach Verbannung des Perikles ihre Absichten mit Athen leichter erreichen zu können. ...
Was heißt "ihre Absichten mit Athen"? Was soll dieser Allgemeinplatz? Tatsache ist doch, dass nicht Perikles der Alkmaionide ist, um den es hier geht, sondern sein Großonkel zweiten Grades Kleisthenes. Er ist es, der vertrieben werden soll.
Stammtafel der Alkmeoniden |
Herakles Andreus
| |
Hyllos oo Jole Myron
| |
| +-----------+------------+
Nestor von Pylos Aristonymos Aristomachos Aristolaides
* 587 ndFl * 585 | |
| | Aristodemos Lykurg
| | Zeuxidemos |
| | (Dioskuren) Amiantos von
| | Trapezus?
Alkmeon d.Ält. Kleisthenes d.Ält.
* 608 ndFl * 610 ndFl
| |
Megakles d.Ält. oo Agariste d.Ält.
* 630 ndFl * 645 ndFl
+ ca. 685 ndFl
|
+----------------+------------------+
Alkmeon d.Jüng. Hippokrates Kleisthenes d.Jüng.
* 661 ndFl * ca. 663 ndFl * ca. 665 ndFl
| (Demokratie, Phylen)
|
+---------+-------+ Ariphron
| | |
Megakles d.Jüng. Agariste d.Jüng. oo Xanthippos
* ca. 685 ndFl * ca. 682 ndFl * ca. 672
|
Perikles
* 694 ndFl |
(Thuk. I, 128) Die Athener antworteten den Lakedaimoniern mit einer Gegenforderung: die Frevler von Tänaron (Vorgebirge Tänaros, die westliche Spitze von Lakonien) auszuweisen. Die Lakedaimonier hatten nämlich einst Schutzflehende Heloten, die sich in dem Heiligtum des Poseidon in Tänaron niedergesetzt hatten, aufstehen heißen, sie fortgeführt und niedergemacht. Deswegen ist Sparta damals auch, wie sie glauben, von dem großen Erdbeben heimgesucht worden. ...
Der "Polemos"-Redakteur ist wieder am Werke. Diese Untat würde in die derzeitige Gegenwart gehören, an den Beginn des Peloponnesischen Krieges. Der Redakteur tut aber so, als ob die "Gegenwart" in seiner Berichterstattung nach dem Perserkrieg liege, worin auch Perikles seinen Platz hätte. Das aber ist nur in seiner Erfindung möglich, in der Pentekontaëtie, nicht aber in der wirklichen Geschichte.
(Thuk. I, 128) ... Und ferner forderten sie, die Lakedaimonier sollten die Frevler gegen die Athena Chalkioikos ausweisen. Dieser Tempel der Athene, die im Erzhaus wohnt, auf der Akropolis in Sparta war mit Bronzeplatten ausgekleidet, woher sein Name rührte. Mit diesem Frevel hatte der Lakedaimonier Pausanias zu tun. Zu Pausanias ist folgendes zu sagen:
Der aus dem spartanischen Königshaus der Agiaden stammende Pausanias, der bei Herodot mehrmals mit dem Zusatz "Sohn des Kleombrotos" genannt wird, war vermutlich überhaupt kein Sohn des Kleombrotos, eher wohl ein weitläufiger Verwandter dieses Geschlechtes oder - wie ich annehmen möchte - ein Schwager des Kleombrotos. Dass der Zusatz "Sohn" von einem Redakteur/Kopisten stammt, ist auch schon wegen seiner extrem häufigen Wiederholung wahrscheinlich; außerdem sagt Herodot ganz deutlich (IX, 10), Kleombrotos sei in jugendlichem Alter kurz vor der Schlacht bei den Thermopylen schon verstorben, wo dann sein (Zwillings-?)Bruder Leonidas das spartanische Heer führte und fiel. Für dessen sehr jungen Sohn Pleistarchos hatte Pausanias die Vormundschaft übernommen. Kleombrotos, der ca. 686 ndFl geboren wurde, war demnach bei seinem Tod im Jahre 728 ndFl etwas über vierzig Jahre alt, was nicht mehr als "jugendlich" bezeichnet werden kann. Trotzdem wäre ein Sohn des Kleombrotos ebenfalls noch sehr jung gewesen, wenn er zu dieser Zeit einen Sohn gehabt hätte; dann aber wäre der doch wohl eher sein Nachfolger geworden statt seines Bruders Leonidas. Dass aber der gestandene Mann Pausanias, der Held von Platää (Sieg über die Perser konv. 479 v.Chr. analog 729 ndFl), der Sohn eines soeben im "jugendlichen Alter" verstorbenen Kleombrotos gewesen sein soll, ist unglaubhaft.
Kleombrotos war übrigens auf Kleomenes gefolgt, den Herodot (VII, 205) als sohnlos bezeichnet; er lässt aber auf ihn Leonidas folgen, der mit der Tochter des Kleomenes, mit Gorgo, verheiratet war. Diese Thronfolge ist allerdings unlogisch; denn in IX, 10 erscheint Leonidas als der letzte König vor Pausanias, so dass Kleombrotos noch vor Leonidas regiert haben muss. Das hat er auch, und zwar mit seinem Kollegen Agesilaos aus dem Hause der Eurypontiden gemeinsam.
Pausanias, der - wie schon gesagt - mit dem aus den Hellenika identisch ist, muss sehr viel früher geboren sein als es als Sohn des Kleombrotos möglich gewesen wäre. Als ein etwa gleichaltriger Bruder des Kleomenes, der seinerseits älter war als Kleombrotos, müsste er von Herodot bei dessen Betrachtungen der spartanischen Königshäuser vergessen worden sein. Es ist daher plausibler, dass er eine Tochter des Anaxandrides geheiratet hatte, die um etwa 687 ndFl geboren sein könnte und von der er den um etwa 700 ndFl geborenen Sohn Agesipolis bekam. Er selbst dürfte um 675 ndFl geboren sein. Die Herkunft des Pausanias bliebe somit völlig offen.
Euryanax, der Sohn des Dorieus, des Sohnes des Anaxandrides, war ebenfalls noch sehr jung, als ihn Pausanias zum Mitfeldherrn der Schlacht bei Platää machte. Sein Vater war in Sizilien zugrunde gegangen (Herodot V, 41-48). Vermutlich war er bestenfalls ein "Feldherrn-Lehrling".
Anaxandrides ----------- oo ------- Tochter des Prinetades
* 648 ndFl (reg. ca. 680-691 ndFl) * 655 ndFl
oo Nichte (Bruder * 650 ndFl) |
| * 672 ndFl Kleomenes
+-------+--+----------+ * 670 ndFl
| | | | (reg. ca. 691-...)
| | | | |
Dorieus | Leonidas Kleombrotos Gorgo oo Leonidas
* 686 | * 688 ndFl * 688 ndFl * 700 ndFl
| ndFl | + 728 ndFl + 728 ndFl |
| | |
| Tochter oo PAUSANIAS Pleistoanax =
| * ca. 687 * ca. 675 Pleistarchos
| ndFl | ndFl * 715 ndFl
| |
| |
Euryanax Agesipolis
* ca. 708 ndFl * ca. 700 ndFl
|
Das Wirken des Pausanias begann schon in der Zeit, als der amtierende König Kleomenes vorübergehend aus Sparta abwesend war. Er war verlobt mit einer Tochter des Megabates, des Vetters von Darius und Artaphernes d. Ält. (Herodot V, 32). Dieses Verlöbnis dürfte jedoch erst die Zeit nach der Geburt des Agesipolis betreffen. Damals bemühte er sich mit einigen anderen um die Thronfolge in Makedonien. Es ist wenig wahrscheinlich, dass aus diesem Verlöbnis eine Ehe wurde. Jedenfalls stand Pausanias während des Perserkrieges eindeutig auf der Seite der Griechen. Pausanias wird auch nach dem Perserkrieg weiter von sich reden machen. Herodot (VIII, 3) erwähnt schon Übergriffe des Pausanias, die in diese spätere Zeit fallen, wie er selbst sagt (konv. 477/6 v.Chr.; die Eroberung von Byzanz). Auch der obige Frevel (Thuk. I, 128) hat erst nach dem Perserkrieg stattgefunden, und deshalb setzen wir uns hier auch noch nicht damit auseinander.
Wir überspringen die Absätze 128-134, in welchem letzteren der Tod des Pausanias in dem oben erwähnten Heiligtum der Athena Chalkioikis geschildert wird und mit dem auch der besagte Frevel verbunden war. Der Tod des Pausanias dürfte nicht lange nach dem Perserkrieg eingetreten sein, und aus diesem Grund kann man obige Passage wieder dem "Polemos"-Redakteur zuschreiben.
In den Hochverrat des Pausanias sollte, wie die Spartaner damals den Athenern durch eine Gesandtschaft darlegten, auch der Athener Themistokles verwickelt gewesen sein. Daher forderten sie für diesen dieselbe Strafe. Wenn Themistokles tatsächlich mit Perikles identisch ist, dann kann hier nur eine massive Textmanipulation vorliegen. Wir weisen deshalb die Erwähnung des Hochverrats in diesem Ersten Buch des "Polemos" der Urheberschaft des Redakteurs zu. Da diese Ereignisse (Thuk. I, 135-138; 138 Tod des Themistokles) folglich nicht in die in Rede stehende Zeit gehören, vertagen wir deren Besprechung auf später. Erst im folgenden Absatz geht es in der in Rede stehenden Zeit vor dem Peloponnesischen Krieg weiter:
Thuk I, 139 schließt an Absatz 127 an, der tatsächlich zum Vorabend des Peloponnesischen Krieges gehört, wenn man von Perikles absieht und nur den Hinweis auf den Alkmeoniden-Frevel beachtet:
Bei der ersten Gesandtschaft der Lakedaimonier also wurde die genannte Forderung und Gegenforderung bezüglich der Vertreibung der Gottesfrevler verhandelt.
Bei der Forderung handelte es sich um die Bestrafung der Frevler an Kylon und bei der Gegenforderung um die der Frevler von Tänaron an den Heloten. Nur diese beiden sind zeitgemäß; denn Pausanias und Themistokles sind absolut anachronistisch. Absatz 139 fährt fort:
Darauf kamen die Lakedaimonier von neuem nach Athen und stellten die Forderung, die Belagerung von Poteidaia sollte aufgehoben und den Aigineten die Autonomie zurückgegeben werden. Am lautesten ... aber erklärten sie: nur dadurch, dass der Beschluss gegen Megara zurückgezogen würde, nach welchem die Megarer die im Gebiet der Athener gelegenen Häfen und die attischen Märkte nicht besuchen dürften (Megarisches Psephisma), könne der Krieg vermieden werden.
Die Athener blieben unnachgiebig und beschuldigten obendrein die Megarer, das heilige Feld von Eleusis beackert zu haben. Danach kam eine dritte und letzte Delegation aus Sparta, zu welcher die Herren Rhamphias, Melesippos und Agesandros gehörten.
Rhamphias (auch Rhamphios geschrieben) kommt außer hier auch noch in Hellenika I 1, 35 vor, also mitten im Peloponnesischen Krieg. Er ist der Vater des Klearchos, des Harmosten von Byzanz, der zu den Bundesgenossen des jüngeren Kyros gehörte und von Tissaphernes ermordet wurde (724 ndFl). Melesippos, Sohn des Diakritos, wird von Archidamos vor dem Beginn der Kampfhandlungen nach Athen geschickt um zu fragen, ob man einlenken wolle (Thuk. II 12). Es kann sich hierbei um die obige dritte und letzte (!) Mission Spartas nach Athen gehandelt haben. Agesandros kann eventuell identisch sein mit Agesandridas, dem lakedaimonischen Flottenführer aus Hellenika I (1, 1; 3, 17) und dem "Polemos" (Thuk. VIII 91; 94ff.).
Sie wiederholten die früheren Klagen nicht, sondern sie erklärten, dass sie den Frieden wollten, und wenn die Athener den Hellenen die Autonomie zurückgeben würden, dann käme es nicht zum Krieg. Das ist ziemlich verwaschen; denn die Athener haben "den Hellenen" keineswegs die Autonomie genommen, und die Mission des von Archidamos gesandten Melesippos beinhaltet ziemlich genau dasselbe. Möglicherweise hat der Redakteur diesen Vorfall aus Thuk. II nach hier übernommen. Allerdings lässt der Redakteur diesmal eine Volksversammlung der Athener zusammenkommen, von der in Thuk. II, 12 jedoch keine Rede ist. Der Grund dafür ist leicht zu erkennen: Er muss Perikles auftreten lassen, was in der Originalfassung des "Polemos"-Autors nicht erforderlich war:
(Thuk. I, 139) ... Da trat auch Perikles, Sohn des Xanthippos, auf, zu jener Zeit der erste Mann in Athen, mächtig in Wort und Tat. Er hielt etwa folgende mahnende Rede:
... die wir uns ersparen; denn erstens halten wir schon längst nichts mehr von fiktiven "etwa"-Reden und zweitens gehört Perikles gar nicht hierhin. Zu dieser Zeit ist noch Peisistratos der Tyrann und "erste Mann" in Athen.
Drollig und erwähnenswert ist in dieser "ersten Rede des Perikles" allerdings dessen Formulierung: So ungefähr oder so ähnlich ist meiner Meinung nach die Lage der Peloponnesier. Ein Staatsmann, der nur eine ungefähre Ahnung von den ärgsten Feinden seiner Stadt hat, kann doch wohl nicht als "der erste Mann" bezeichnet werden. Hier dürfte bestenfalls die Meinung des Redakteurs "ungefähr oder so ähnlich" sein!
Erwartungsgemäß heißt es dann auch am Ende der Rede wieder: So etwa lauteten die Worte des Perikles (Thuk. I, 145). Und weiter:
Das also waren die Kriegsgründe und das die Streitfälle zwischen den beiden Parteien vor dem Kriege, die sich sofort an die Vorfälle in Epidamnos und Kerkyra anschlossen. Währenddessen blieb der Verkehr zwischen ihnen noch immer aufrecht; man verhandelte ohne Herold, jedoch nicht ohne Argwohn miteinander. Das Vorgefallene war eine Aufhebung des Vertragsverhältnisses und gab den Anstoß zum Kriege.
Hiermit endet das Erste Buch des "Polemos". Ich denke, dass es mir in diesem Kapitel gelungen ist, die Wahrheit über die Geschichte vor dem Peloponnesischen Krieg herauszufinden. Entstellt durch einen unzulänglich informierten Autor und einen dehnungsbesessenen Redakteur liefert dieses Buch eine haarsträubende Pseudo-Geschichte, die schon in sich selbst fälschungsverdächtig ist. Doch erst in einer umfassenden Geschichtskorrektur, und besonders in der berichtigten Chronologie, ist eine wahrheitsgemäße oder zumindest wahrheitsnahe Richtigstellung der griechischen Geschichte vor und im Peloponnesischen Krieg machbar.
Zum Abschluss sollen noch einmal die Absätze aufgeführt werden, die in diesem Ersten Buch zu jeweils einer Gruppe gehören:
Absätze 1-88: Vorgeschichte des Peloponnesischen Krieges einschließlich der Reden;
Absätze 88-118: Die eingeschobene Pentekontaëtie;
Absätze 118-145: Erneuter Anlauf zum Krieg, Reden;
Absatz 145: Wiederanschluss an Epidamnos und Kerkyra, also an Absatz 24.
Letzter Stand: 6. Dezember 2013
|
|