Zehntes Buch: Darius und Xerxes
2. Kapitel: |
Hellas im Peloponnesischen Krieg
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Teil IV: |
Der Peloponnesische Krieg
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4. Teil: Die Jahre 700 bis 703 ndFl |
Das Jahr 700 ndFl
Das bei weitem wichtigste Ereignis dieses Jahres ist der Regierungsantritt des Darius I/II als Großkönig des Persischen Reiches. Über die Thronbesteigung des Darius I, und zwar überwiegend aus der Sicht Herodots, wurde bereits im 1. Kapitel dieses Zehnten Buches ausführlich abgehandelt. Merkwürdigerweise berichtet der "Polemos" in diesem Jahr nicht von der Thronbesteigung eines Darius II. Er soll die Beinamen Nothos (= Bastard) und Ochos getragen haben, was jedoch unzutreffend ist. Die Thronwirren, die konventionell vor Darius II gesehen werden, gehören zu dem wirklichen zweiten Darius, der jedoch erst in etwa vierzig Jahren auftauchen wird. Die Beinamen gehören ebenfalls zu diesen späteren Personen.
Der angeblich zweite Darius soll konventionell im Jahre 424 v.Chr. an die Regierung gekommen sein. Er ist mit dem ersten Träger dieses Namens identisch. Folglich ist auch der Übergang von Xerxes (I), dem Sohn des Darius I, über Artaxerxes (I) Longimanus, den Sohn des Xerxes, und einen zwangsläufig erfundenen zweiten Xerxes sowie einen gewissen Sogdianus zu dem - angeblich nicht thronberechtigten - Sohn Darius II Ochos-Nothos des Xerxes II an dieser Stelle Unsinn. Zu gegebener Zeit werde ich auf diesen Wechsel zurückkommen und die ganze Sache richtigstellen.
Die von Herodot genannten sechsunddreißig Regierungsjahre seines Darius (I) stehen für dessen Gesamtregierungszeit entsprechend 684-720 ndFl. Diese sechsunddreißig Jahre wurden konventionell auf seine Großkönigszeit angewendet, wodurch es zu weiteren Verzerrungen in einer ohnehin schon verzerrten Geschichte kam (522-486 v.Chr.). Wenn man die verbleibenden zwanzig Jahre Großkönigszeit (700-720 ndFl) mit der Regierungszeit des "Darius II" vergleicht (konv. 424-404 v.Chr.), dann wird die tatsächliche Regierungszeit des Großkönigs Darius I = II bestätigt.
Der Übergang vom Jahr (konv.) 425 zum Jahr 424 v.Chr. findet mitten im Vierten Buch des "Polemos" statt. Dass es sich bei dem ersten Satz gleich um eine Falschmeldung handelt, können wir getrost unterstellen:
(Thuk. IV, 52) Gleich im Anfang des nächsten Sommers, am ersten Tag eines Monats, fand eine Sonnenfinsternis statt (Anm. des Kommentators: Im attischen Monat Elaphebolion, am 21. März 424 v.Chr.), und in der ersten Dekade desselben Monats ein Erdbeben.
Sonnenfinsternis und Erdbeben fanden, wie wir schon längst wissen, im ersten Jahr des "langen" Krieges statt, nämlich im Jahre 692 ndFl. In dem entsprechenden Teilkapitel wurde hierüber eingehend abgehandelt. Deshalb halte ich auch die nachfolgenden Begebenheiten dieses Kapitels, wobei es sich hauptsächlich um solche im Zusammenhang mit Mytilene auf Lesbos handelt, für solche, die gleichfalls in das frühere Jahr gehören, bei denen sogar Alexander der Große Nr. 1 mitgewirkt haben könnte (333 v.Chr. analog 692 ndFl: Tod Memnons bei der Belagerung von Mytilene auf Lesbos).
Der Zug der Athener gegen die Insel Kythera, der ebenfalls im Sommer dieses Jahres (konv. 424 v.Chr. analog 700 ndFl) unternommen worden sein soll, kann durchaus in dieses Jahr gehören. Die Führung hatten die bekannten Feldherren der Athener: Nikias, Sohn des Nikeratos, Nikostratos, Sohn des Dieitrephes, und Autikles, Sohn des Tolmaios. Kythera ist eine Insel vor der lakonischen Küste bei Malea und gehörte damals zu Sparta.
Die Kämpfe um Thyrea in Kynosurien, einem Landstrich, der an Argos und Lakonien grenzt und wohin die Spartaner die von Perikles vertriebenen Ägineten verpflanzt hatten, die in diesem Zusammenhang beschrieben werden, halte ich für anachronistisch und vor allem für nicht so wichtig, als dass wir uns darüber viele Gedanken machen sollten. Auch in Zukunft werde ich eine sorgfältige Auswahl der Ereignisse in diesem Krieg treffen, über die es sich zu reden lohnt, um eine allzu große Ausweitung der Geschichte des Peloponnesischen Krieges zu vermeiden. Für in dieses Jahr gehörend erachte ich auch das Folgende nur bedingt:
(Thuk. IV, 58) In demselben Sommer kam auf Sizilien ein Waffenstillstand zustande, zunächst zwischen Kamerina und Gela; dann aber kamen auch die übrigen sizilischen Hellenen in Gela zusammen, jede Stadt schickte Abgeordnete, und sie verhandelten über die Friedensbedingungen... Da sprach der Syrakusier Hermokrates, Sohn des Hermon, der sie auch am meisten überzeugen konnte...
Die erfundene Rede ersparen wir uns einmal mehr. Ich halte indes Hermokrates, der gewiss kein unbedeutender Bürger und möglicherweise der Vater des berühmten Tyrannen von Syrakus war, des Dionysios, der durch die Schiller-Ballade Die Bürgschaft noch berühmter geworden ist als er es schon seit dem Altertum war, nicht für den Nachfolger des Gelon. Letzterer ist noch gar nicht in Syrakus, sondern noch zusammen mit Hippokrates in Gela, wo dieser Kongress von Gela stattfindet; aber das, was so gar nicht ins Bild der Zeit passen will, ist die gedrückte Stimmung auf diesem Kongress, die in der Rede des Hermokrates zum Ausdruck kommt; was ist denn bis jetzt schon passiert? Wodurch ist Syrakus denn, wie Hermokrates sagt, so "stark mitgenommen"? Ich meine, dass vor diesen Stimmungstiefpunkt zunächst ein Krieg gehört, und der beginnt erst konventionell im Jahre 415 v.Chr.; aber was gehört dann in dieses Jahr?
Ich bin der Ansicht, dass die folgende sizilische Transaktion der Athener nicht erst in das Jahr (konv.) 416 v.Chr. gehört, sondern in dem schon mehrfach festgestellten Achtjahresabstand dem Jahr (konv.) 424 v.Chr. analog 700 ndFl zuzuordnen ist. Von hier geht es dann bis hin zum Jahr der Katastrophe (konv.) 413 bzw. 421 v.Chr. analog 703 ndFl.
Im vorangegangenen Teilkapitel hatte ich schon meine Verwunderung darüber zum Ausdruck gebracht, dass der "Polemos" das Sechste Buch im Winter (konv.) 416/415 v.Chr. beginnt und nicht - wie zu erwarten wäre - mit dem folgenden Frühjahr. Sollte hier etwa eine "Flickstelle" sein, an der eine Geschichte, die in eine frühere Zeit gehört, in diese spätere Zeit hineingeraten ist?
Thuk. VI, 1: In demselben Winter noch planten die Athener wiederum mit stärkeren Kräften als damals unter Laches und Eurymedon (III 86 und 115) gegen Sizilien zu fahren, um es, wenn möglich, zu erobern. Die meisten kannten nicht die Größe dieser Insel, wussten auch nicht, wie viele Hellenen- und Barbarenvölker darauf wohnen und dass sie sich also auf einen Krieg einließen, der nicht viel weniger bedeutend war als der gegen die Peloponnesier.
Das hört sich nicht so an, als seien schon viele Expeditionen nach Sizilien unternommen worden. Das klingt eher danach, als sollte jetzt das erste ernsthafte Unternehmen auf Sizilien begonnen werden. Das, was Laches und Eurymedon aus Freundlichkeit gegenüber Gorgias von Leontinoi zu Wege gebracht hatten, war gegen das, was jetzt auf die Athener zukam, ein Kinderspiel.
Nach einer Darstellung der Geschichte der Besiedlung Siziliens, auf die ich im vorigen Teilkapitel bereits ausführlich eingegangen bin, fährt Thuk. VI, 6 fort:
So viele Völkerschaften der Hellenen und der Barbaren waren es, welche Sizilien besiedelten, und gegen ein so großes Land rüsteten sich die Athener, Krieg zu führen, begierig im letzten Grunde nach der Herrschaft über die ganze Insel. ... Den hauptsächlichen Anstoß gab ihnen die Anwesenheit und das eifrige Zureden einer Gesandtschaft aus (S)Egesta. Als Nachbarn von Selinus waren sie ... in einen Krieg mit jenen verwickelt worden, und die Selinuntier hatten die Syrakusier als Verbündete herbeigerufen und schlossen die (S)Egestäer auf der See- und auf der Landseite ein. So erinnerten denn die (S)Egestäer jetzt die Athener an das zur Zeit des Laches und des damaligen Krieges mit Leontini geschlossene Bündnis und erbaten die Entsendung von Schiffen zu ihrer Hilfe.
Die Segestäer meinten, wenn es den Syrakusiern gelänge, Leontinoi zu unterwerfen, dann würden sie auch die übrigen Verbündeten der Athener verderben und die Macht über ganz Sizilien übernehmen. Dann könnten sie als Dorer den Dorern im Peloponnesischen Krieg gegen Athen eine wertvolle Hilfe sein. Die Athener sandten schließlich eine Delegation nach Segesta, um die finanziellen Verhältnisse der Stadt zu prüfen, ob diese sich den Krieg überhaupt leisten könne.
In Thuk. VI, 7 ist wieder von Korinth und Argos die Rede, was ich dem Jahr (konv.) 416 v.Chr. zuordnen möchte, worauf ich natürlich noch zu sprechen komme. Doch ordne ich die "Beunruhigung des Landes des Perdikkas" und die "gemeinsam mit Perdikkas" geplanten Aktionen der Lakedaimonier in ein früheres Jahr ein, in dem auch Brasidas noch lebte; denn letzterer ist in diesem Jahr (700 ndFl) schon sechs Jahre tot, und Perdikkas wird im Jahre 416 analog 708 ndFl schon fünf Jahre tot sein. Hier sind frühere und spätere Ereignisse gleichermaßen in das konventionelle Jahr 424 v.Chr. hineingemischt worden.
Das Jahr (konv.) 416 v.Chr. endet mit Absatz 7. Die athenischen Gesandten, die nach Segesta gereist waren, sollen erst im folgenden Frühjahr (konv. 415 v.Chr.) aus Sizilien zurückgekehrt sein. Das halte ich für zu spät, wenn die Athener schon im Winter den Angriff auf Sizilien planen (siehe oben Thuk. IV, 1); denn dass diese Ereignisse kurz auf einander folgen, steht für mich außer Zweifel. Die Formulierung mit stärkeren Kräften als damals unter Laches und Eurymedon (III 86 und 115) bezieht sich auf höchstens einige Monate. Wir werden sehen, dass Eurymedon schon bald - vorübergehend - in Ungnade fallen wird.
Der auf dem Kongress von Gela geschlossene Friede hatte nicht die Ausmaße desjenigen, der im Jahre 703 (oder besser: 704) ndFl geschlossen werden wird. Der "kleine Friedensschluss" des Jahres 700 ndFl, der zu derselben Zeit geschlossen worden sein muss, als sich die athenische Delegation auf dem Wege nach Segesta befand, sah folgendermaßen aus:
(Thuk. IV, 65) Durch diese Worte des Hermokrates ließen die Sikelioten sich bewegen, ein Übereinkommen zu treffen (anders gesagt: einen "kleinen" Frieden), wonach der Krieg zu Ende sein und jeder seinen Besitzstand behalten sollte; Kamarina aber sollte gegen eine an Syrakus zu zahlende Summe die Landschaft Morgantine erhalten. Nun luden die mit Athen verbündeten Städte die athenischen Führer zu sich und erklärten, es solle ein Abkommen getroffen werden, in dem auch die Athener eingeschlossen würden. Diese gaben ihre Zustimmung, und so wurde denn der Vertrag abgeschlossen, und die athenischen Schiffe verließen daraufhin Sizilien.
Bei ihrer Rückkehr wurden die Feldherren Pythodoros und Sophokles aus Athen verbannt, und gegen Eurymedon wurde eine Geldbuße verhängt. Ihnen wurde vorgeworfen, sie hätten sich zum Abzug aus Sizilien dort bestechen lassen. Der Inhalt des Abkommens selbst ist Kleinkariertes, das ist nicht der sizilische Frieden, der später ohne Rücksichtnahme auf die vernichtete athenische Streitmacht geschlossen werden wird. Konventionell hat diese totale Niederlage der Athener auch noch gar nicht stattgefunden. Die Athener waren in diesem Jahr 700 ndFl noch stark genug, um ein so gewaltiges Unternehmen wie den Sizilien-Feldzug zu wagen. Auch der "Polemos"-Redakteur lässt erkennen, dass - nach seiner späteren Ansicht - die Athener in ihrer damaligen glücklichen Lage alles für möglich gehalten hätten, was sie sich vornahmen auch auszuführen. Der große Optimismus gehörte allerdings noch nicht zu dieser Operation, sondern zu derjenigen, die im Winter ihren Anfang nahm:
(Thuk. VI, 8) Im folgenden Jahre, gleich zu Beginn des Frühlings, kehrten die Gesandten der Athener aus Sizilien zurück... (Das hatte ich schon dem Winter 416/415 v.Chr. analog 700/701 ndFl zugeordnet, der vom "Polemos" jedoch bereits mit dem Schlusssatz von Thuk. VI, 7 beendet worden ist.) ... und mit ihnen Abgeordnete aus (S)Egesta, welche 60 Talente ungemünzten Silbers mitbrachten als Monatssold für die sechzig Schiffe, um deren Entsendung sie bitten sollten.
Die Athener hörten sich auf einer Volksversammlung (die es offenbar schon unter den Söhnen des Peisistratos gab!) die Lügen der Segestäer über ihre Reichtümer an und glaubten sie offenbar auch; denn sie beschlossen wirklich, sechzig Schiffe nach Sizilien zu schicken unter dem unbeschränkten Oberbefehl von Alkibiades, Kleinias' Sohn, Nikias, Nikeratos' Sohn, und Lamachos, Xenophanes' Sohn. Sie sollten (S)Egesta gegen Selinus unterstützen, sollten, wenn sie Erfolg im Krieg hätten, Leontinoi besiedeln helfen und überhaupt in Sizilien alles in eine solche Bahn bringen, wie es für Athen nach ihrer Überzeugung am günstigsten sei.
Irreführend ist dann die Formulierung: Nikias, der gegen seinen Willen zur Führung berufen worden war ... Hatte es nicht soeben noch geheißen: ... unter dem unbeschränkten Oberbefehl von Alkibiades, Nikias und Lamachos? Weiter unten wird klar, wie das zu verstehen ist. Nikias rät von dem gewaltigen Unternehmen in zwei langen Reden ab, und in der ersten benutzt er mitten darin die Anrede "Prytane".
Prytane waren die Ratsherren, die aus den zehn attischen Phylen gesandt wurden. Diese demokratischen Phylen wurden durch die Reform des Kleisthenes (= Demosthenes) geschaffen. Zu der in Rede stehenden Zeit unter der Tyrannis von Demades-Hippias und Phokion-Hipparch kann es eigentlich noch keine (demokratischen) Prytane gegeben haben. Die Demokratie soll Kleisthenes im Jahre (konv.) 508/07 v.Chr. eingeführt haben; das wäre nur kurz nach dem Skythenzug des Darius (konv. 513/12 v.Chr.) und der Zerstörung von Sybaris durch Kroton (konv. 511/10 v.Chr.), aber auch erst kurz nach dem Sturz des letzten Tyrannen in Athen gewesen, des Hippias. Durch die Fehlansetzung der Regierungsjahre des Darius I ergibt sich jedoch ein Sturz des Hippias für ein konventionelles Jahr 510 v.Chr., das erst dem Jahr 714 ndFl entspräche, in das auch das (konv.) Jahr 410 v.Chr. gehört: "Wiederaufrichtung der Demokratie in Athen". Es muss demnach zwischenzeitlich die Demokratie wieder abgeschafft worden sein. Hatte die Demokratie tatsächlich schon eine Chance unter den Söhnen des Peisistratos? Ich nehme die Antwort vorweg und sage "ja"! Es trifft nämlich die Angabe 508/07 v.Chr. auf das Jahr 700 ndFl zu. In der Folgezeit nach ihrer ersten Einführung hätten diese Reformen vorübergehend außer Kraft gesetzt worden sein müssen, bis sie dann (konv.) 410 v.Chr. analog 714 ndFl endgültig eingeführt wurden. Diese Wiederaufrichtung gehört jedoch schon ins Jahr 704 ndFl, wie ich im nachfolgenden Teilkapitel erläutern werde. Die zwischenzeitliche Abschaffung der Demokratie fand im Jahre 702 ndFl statt.
Es ergibt sich eine Vorabbestätigung für diese Annahme aus der Interpretation des so genannten Hermenfrevels, der die Athener im Jahre (konv.) 415 v.Chr. schockiert haben soll (Thuk. VI, 27):
In dieser Zeit geschah es, dass von den steinernen Hermessäulen innerhalb der Stadt Athen - es stehen nach Landesbrauch deren viele, als viereckige Bildwerke, sowohl an den Eingängen der Privathäuser als auch in den Heiligtümern - in einer einzigen Nacht die meisten im Gesicht verstümmelt wurden. Niemand kannte die Täter, es wurde aber öffentlich unter hohen Belohnungen nach ihnen gefahndet und der weitere Beschluss verkündet, dass jeder, ob Städter, ob Fremder oder ob Sklave, auch anderen Frevel, der ihm etwa bekanntgeworden, straflos zur Anzeige bringen dürfe. Man nahm den Vorfall ziemlich ernst; er schien eine Vorbedeutung für den Kriegszug, auch schien er auf eine Verschwörung zu deuten, die auf Unruhen und auf Umsturz der Demokratie ausging.
Man fürchtete also für das zarte Pflänzchen "Demokratie"; das spricht für eine erst vor kurzem vorgenommene Einführung dieser Staatsform.
Es erfolgen auch tatsächlich Anzeigen; sogar Alkibiades wird - man höre - mit ähnlichen Untaten, welche schon vordem durch junge Leute unter dem Einfluss von Übermut und Wein begangen worden waren, in Verbindung gebracht. Das spricht für einen noch jungen, wenn nicht jugendlichen Alkibiades, der als Kommandant einer Sizilien-Expedition nicht vorstellbar und auch gewiss nicht eingesetzt worden ist. Mithin dürfte es doch wohl Nikias gewesen sein, der den Oberbefehl bekommen hatte - wenn auch gegen seinen Willen. Alkibiades wird im Frühjahr (konv.) 416 v.Chr. analog 708 ndFl mit zwanzig Schiffen nach Argos fahren und Argeier festnehmen, die es noch mit den Lakedaimoniern halten (Thuk. V, 84). Die Argos betreffenden Angelegenheiten gehören tatsächlich in das Jahr 708 ndFl; dann wird Alkibiades acht Jahre älter sein als zu der diesjährigen Olympiade, an der er teilgenommen hat, und nicht an der des Jahres (konv.) 416 v.Chr. analog 708 ndFl, wie konventionell gesagt wird. Wenn er im folgenden Jahr (701 ndFl) nach Sizilien segelt, dann bestenfalls als junger Kadett.
Der oben erwähnte Lamachos, der mit Nikias nach Sizilien segeln soll, hält sich jetzt möglicherweise noch ganz woanders auf. Wenn Thuk. IV, 75 tatsächlich ins Jahr (konv.) 424 v.Chr. analog 700 ndFl gehört, dann befindet er sich derzeit im Schwarzen Meer, wo er seine Schiffe durch eine Hochflut verliert und zu Fuß mit seinen Leuten durch das Gebiet der bithynischen Thraker (= Phryger) nach Chalkedon marschiert, das an der Mündung des Pontus liegt, also auf asiatischer Seite am Bosporus. Ich bin sicher, dass es sich hierbei um einen Schreibfehler handelt; der Ort heißt Kalchedon. Wir sind zuversichtlich, dass Lamachos bis zum nächsten Sommer wieder in Athen ist, um die Sizilienexpedition noch zu erreichen.
Zwischen den beiden Reden des Nikias hält Alkibiades seine "ungefähre" Rede (Thuk. VI, 15-18), die wir uns ebenfalls ersparen können; denn sie ist selbstverständlich erfunden. Alkibiades wäre noch viel zu jung gewesen, um sich mit dem verdienten Nikias zu messen. Am Ende beschließen die Athener den Krieg gegen Sizilien, der dann im folgenden Jahr begonnen werden wird (konv. 415 v.Chr. analog 701 ndFl).
Der so genannte Epilykos-Vertrag soll zwischen Athen und Persien als Erneuerung des Kallias-Friedens nach dem Ableben des Artaxerxes I 424 oder spätestens 423 (Bengtson, Seite 207) abgeschlossen worden sein. Hierbei handelt es sich tatsächlich um einen neuen Vertrag, der kurz nach der Absetzung des "Artaxerxes" Bardiya-Baryaxes-Arrhidaios mit dem neuen Großkönig Darius I (= II) geschlossen wurde. Wir haben es vor dem Regierungsantritt des Großkönigs Darius I mit ganz anderen Wirren zu tun, als wir sie vor der Thronbesteigung des "Großkönigs Darius II" beobachten. Offensichtlich, wenn auch unausgesprochen, gilt dieser Darius konventionell als Partner der Athener im neuen Kallias- bzw. Epilykos-Vertrag.
Wie wir bei einer früheren Gelegenheit bereits gesehen haben, wurde der "Artaxerxes" Baryaxes als Gefangener in Pasargadai vor Alexander geführt. In der neuen Sicht kann dieser Vorgang anders als in der konventionellen betrachtet werden. Ganz abgesehen davon, dass konventionell keinerlei Verbindung von Baryaxes weder zu Arrhidaios noch zu Pseudo-Bardiya (Herodot sagt Pseudo-Smerdis) hergestellt werden kann, brauchen wir die von Herodot vorgetragene Entlarvungsgeschichte nicht unbedingt wörtlich zu nehmen. Es ist durchaus möglich, dass Alexander gewissermaßen als "Gutachter" die Entlarvung vorgenommen hat, da er möglicherweise der einzige war, der genau wissen konnte, dass der echte Gautama-Smerdis-Bardiya noch lebte, und zwar in Indien als Gautama-Sidharta-Buddha.
Es ist denkbar, dass Arrhidaios-Baryaxes und sein Bruder, der Mager (Makedone) Menelaos-Ismenias-Patizeithes-Spitamenes, der den schwachsinnigen Bruder nach dem Tode des Kambyses auf den Thron des persischen Großkönigs gesetzt hatte, nach Olynth fliehen konnten oder dorthin in Sicherheit oder sogar in Gefangenschaft gebracht wurden. Beider (Halb-)Bruder Philipp soll von den Olynthern ihre Herausgabe gefordert, aber nicht erhalten haben:
(Bengtson, Seite 290) In einer großen Staatsrede, der 1. Philippika, nahm Demosthenes im Frühjahr 349 zum ersten Male offen gegen Philipp Stellung. Im voranstehenden Teilkapitel hatte ich schon gemutmaßt, die eine oder andere Philippika dieses Feldherrn und Redners gehöre erst in diese spätere Phase, während ich einen Teil davon durchaus in der Zeit vor dem Krieg der Athener gegen Philipp belassen möchte. Bei Bengtson heißt es dann weiter:
Als sich die Olynthier Philipps Forderung, seine in diese Stadt geflüchteten Halbbrüder Arrhidaios und Menelaos auszuliefern, widersetzten, da hatte der König endlich den lange gesuchten Vorwand gefunden, den er brauchte, um über die Chalkidier herzufallen: er marschierte in ihr Gebiet ein ... Athen schloss nunmehr (zu später Stunde) ein förmliches Bündnis mit den Chalkidiern und sandte Hilfsexpeditionen unter Chares und Charidemos (Kimon und Miltiades!) gegen Norden. Sie blieben jedoch völlig ohne Wirkung. ... Im Jahre 348 fiel Olynth in Philipps Hand. Die Stadt ist, wie es scheint, von Grund aus zerstört worden, auf ihrem Gebiet siedelten sich makedonische Kleruchen an.
Da Kimon und Miltiades, die Älteren, bereits tot sind, so haben diese "wirkungslose" Hilfsexpedition und das "förmliche" Bündnis hier gar nichts verloren; sie gehören in einen anderen Zusammenhang, wie ich ihn schon im vorangegangenen Teilkapitel mehrfach herangezogen habe.
Schon im ersten Jahr des "langen" Peloponnesischen Krieges (692 ndFl) hatten wir gesehen, dass Philipp wieder auf der Seite der Athener stand in den Kämpfen bei Poteidaia, das vom Jahre (konv.) 356 v.Chr. an belagert wurde und im Winter 694/695 ndFl in die Hände der Athener fiel. Unter den Kämpfen Philipps erscheint diese Eroberung nicht mehr bzw. wird im selben Jahr (356 v.Chr. analog 692 ndFl) gesehen. Acht Jahre danach würde in diesem letzteren Strang bedeuten, dass 348 v.Chr. analog 700 ndFl entspräche. Wegen der Ungenauigkeiten in dieser Chronologie könnte man auch 349 mit 700 und 348 mit 701 in Beziehung setzen. Das wirkliche große Problem ist ohnehin ein ganz anderes:
Die zweiundzwanzigjährige Regierungszeit des Philipp II in konventioneller Sicht (358-336 v.Chr.) muss auf die Hälfte verkürzt werden, um die Jahre Philipps I von 689 bis 700 ndFl abzudecken, in denen überwiegend das geschehen ist, was zu diesem Philipp (Antigonos Monophthalmos) und nicht zu Philipp II (Demetrios Poliorketes) gehört. Die letzten Regierungsjahre dieses Philipp II können überwiegend - nicht generell! - tatsächlich zu Philipp II gerechnet werden; sie gehören erst in die Zeit in etwa vierzig Jahren.
Besagte Verkürzung ist, wie in dem Teilkapitel 2 Philipp I in neuer Sicht schon gezeigt wurde, durch "Doppeltklappen" der Jahre mit den darin vorkommenden Ereignissen und ihren Wiederholungen zu erreichen. Philipp I lebt noch bis zum Jahre 704 ndFl.
Einen ähnlichen Vorgang um Olynth schildert Bengtson (Seite 245f.), der sich dreißig Jahre vorher zugetragen haben soll: Als Theben im Olynthischen Krieg i. J. 382 Sparta die Heeresfolge verweigerte, besetzte der Lakedämonier Phoibidas, wahrscheinlich auf einen Geheimbefehl des Ephorats hin, die (Stadtburg) Kadmeia in Theben. Dabei wurde ihm die Hilfe thebanischer Oligarchen zuteil. Ismenias, ein geschworener Feind der Spartaner - er hatte einst als Genosse des Timokrates das persische Gold in Griechenland rollen lassen - wurde hingerichtet, der Tod mit seinem Verrat an der Sache der Hellenen begründet.
Ismenias ist auch obiger Menelaos, der sich nach Olynth abgesetzt hatte. Seine Reisen mit einem Koffer voll Gold, mit dem er die griechischen Städte für Persien einkaufen soll, gemeinsam mit anderen (Timokrates und Ariobarzanes) haben nur Sinn nach der totalen Machtübernahme des Darius in Persien und gehören deshalb in ein späteres Jahr (siehe weiter unten!). Offensichtlich sind hier (vermutlich schon bei dem Historiografen Diodor aus Sizilien) die Ereignisse etwas verrutscht. Ob sich Sparta schon in die Auseinandersetzung des Chalkidischen Bundes mit Makedonien eingeschaltet hatte, und zwar waren die Spartaner zusammen mit dem makedonischen König Amyntas III als die Beschützer der einzelnen chalkidischen Gemeinden gegen das übermächtig gewordene Olynth in die Schranken getreten, ist nicht sicher; denn der Beginn dieser Einschaltungen wird für das Jahr (konv.) 382 v.Chr. gesehen, die Eroberung Olynths jedoch erst im Jahre (konv.) 379 v.Chr.; wichtig ist, dass sich Sparta auf seiten des Sohnes des Philipp beteiligt, des Amyntas = Antigonos Doson, der seinerseits mit Olynth auch ganz andere Ziele verfolgt als die Spartaner. Erst später wird Kleombrotos nach Böotien geschickt werden, und zwar ebenfalls im Jahre (konv.) 379 v.Chr., das diesmal aber einem ganz anderen Jahr ndFl entspricht, und dann wird auch Amyntas (der einzige, den es gab) als König der Makedonen auftreten. Darauf und auf Antigonos Doson (er regierte konventionell 239-222 v.Chr.) komme ich natürlich noch zu sprechen.
Wie ich an anderer Stelle schon sagte, ist die konventionelle Chronologie an dieser Zeitstelle (Siebzigerjahre des 4. vorchristlichen Jahrhunderts) ganz besonders verworren. Daher soll zunächst auch nicht auf das Thema Die Hegemonie Thebens eingegangen werden, die damit verbunden ist. Daneben beobachten wir jetzt eine Zunahme der konventionellen Datierungen von Ereignissen ins 3. Jahrhundert v.Chr., die in diese Zeit gehören, und dazu noch eine größere Ungenauigkeit, als wir sie von den älteren Datierungen gewöhnt sind. Das lässt auf die Hilflosigkeit dieser Chronologie schließen, die viele Luftjahrhunderte mit Material auffüllen muss. Offenbar wachsen dabei die Schwierigkeiten mit den abnehmenden Jahreszahlen.
Es soll jetzt ausführlich auf die Schlacht bei Delion eingegangen werden, worauf ich im Teilkapitel Allgemeines und das Jahr 692 ndFl schon hingewiesen habe: (Thuk. IV, 89) Im folgenden Winter (424/3 v.Chr.)... sollte von den athenischen Feldherren Hippokrates und Demosthenes der Schlag gegen Böotien geführt werden. Demosthenes sollte mit der Flotte gegen Siphä fahren, Hippokrates Delion angreifen. ... Aber man verfehlte den Tag, an dem die beiden Unternehmungen vor sich gehen sollten, und Demosthenes kam zu früh vor Siphä an.
In besagtem Teilkapitel hatte ich Demosthenes schon von denjenigen Aktionen des Hippokrates getrennt, die sich auf das Heiligtum von Delion beziehen. Ersterer gehört nur in der damaligen Phase zu Hippokrates, und dieser allein ist in diesem Jahr mit Delion beschäftigt, da Demosthenes sich offenbar auf einen anderen Kriegsschauplatz vorbereitet.
Von dem Heiligtum Delion berichtet auch Herodot (VI, 118): Als der persische Feldherr Datis (etwa mit Tissaphernes identisch?) nach seiner Niederlage bei Marathon (718 ndFl) auf der Rückfahrt bei der Insel Mykonos (Nachbarinsel von Delos) auf Grund eines Traumes die Schiffe inspizierte, entdeckte er auf einem phönizischen Schiff eine vergoldete Apollonstatue. Auf die Frage, wo sie diese Statue geraubt hätten, sagten sie ihm, aus welchem Heiligtum sie stamme. Er segelte mit seinem Schiff nach Delos, wohin die Delier, die Datis unterstützt hatten, bereits zurückgekehrt waren. Er stellte das Apollonbild im Tempel auf und erteilte den Auftrag, man solle das Standbild nach dem thebanischen (boiotischen) Delion (an der Küste, dem euböischen Chalkis gegenüber) zurückschaffen. Die Delier aber brachten das Bild nicht sogleich zurück, sondern die Thebaner holten es zwanzig Jahre später (also 738 ndFl) erst wieder heim nach Delion. Davon könnte Herodot zu dem Zeitpunkt, als er das sechste Buch schrieb, noch nichts gewusst haben. Selbst konventionell endeten diese zwanzig Jahre mindestens fünf Jahre nach dem Ende des Berichtszeitraumes Herodots. Hat ein desinformierter "Redakteur" Delos mit Delion verwechselt oder vermischt? Zurück zu Hippokrates nach Delion:
(Thuk. IV, 90) ... Rings um den heiligen Bezirk und das Tempelhaus wurde ein Graben gezogen und mit der herausgeworfenen Erde ein Damm, anstelle der Mauer, errichtet. ... Wo es nötig war und keines der heiligen Gebäude verwendet werden konnte, errichtete man hölzerne Türme; die Umgangshalle war nämlich eingefallen. Am dritten Tage nach dem Aufbruch von Hause hatte man begonnen und arbeitete am vierten und fünften bis Mittag fort. Dann war das Werk in der Hauptsache fertig, und das Heer marschierte ab nach Hause. Als es etwa zehn Stadien von Delion entfernt war, zogen die Leichtbewaffneten in der Mehrzahl gleich weiter, während die Hopliten unter den Waffen stehend Rast machten. Hippokrates blieb noch in Delion, richtete Wachtposten ein und erteilte wegen der noch unfertigen Teile der Befestigung seine Anordnungen.
(Thuk. IV, 91) In denselben Tagen sammelten sich die Böoter in Tanagra... und als man erfuhr, dass die Athener schon auf dem Rückmarsch seien, rieten die Böotarchen, deren elf es gibt, von einer Schlacht ab, da die Feinde ja nicht mehr in Böotien ständen - der Halteplatz der Athener war hart an der Grenze von Oropia (in Attika). Pagondas, der Sohn des Aiolades, jedoch, der mit Arianthides, dem Sohn des Lysimachos, zusammen als Böotarch von Theben anwesend war und damals den Oberbefehl über das Heer hatte, war für eine Schlacht und meinte, man müsse etwas wagen.
Böotarchen waren auf ein Jahr gewählte oberste Beamte des Böotischen Bundes, der im Sommer (konv.) 447 v.Chr., also zwei Jahre nach dem Kallias-"Frieden", gegründet worden sein soll. Diese Gründung gehört demnach in die in Rede stehende Zeit und hängt gewiss auch mit dem "Wettkriechen" zu Susa zusammen, vermutlich auch mit der Gründung des Arkadischen Bundes in demselben Jahr (konv.) 370 v.Chr., in dem Epaminondas seinen ersten Zug auf die Peloponnes unternimmt. Wegen des chronologischen Chaos in diesen Jahren vertage ich einstweilen die Besprechung dieser Ereignisse.
Ich halte Pagondas für Epaminondas, den Thebaner, der als "Erfinder" der "schiefen Schlachtordnung" gilt. Er ist der Pammenes, der mit Philipp auf dem Illyrer-Feldzug war, und auch der Parmenion, der mit Alexander in Asien war. Dieser Epaminondas wird in den nächsten Jahren noch eine wichtige Rolle spielen und kann daher nicht auf dem Asien-Feldzug schon von Alexander wegen angeblichen Verrats hingerichtet worden sein. Diese konventionelle Ansicht kann nur deshalb entstanden sein, weil man glaubt, dass Alexander die Rückkehr nach Makedonien gar nicht erlebt habe. Wenn Epaminondas wirklich im Auftrage Alexanders hingerichtet wurde, dann erst nach seinen Zügen auf die Peloponnes, auf die ich noch zu sprechen komme.
Wenn Pagondas-Parmenion bei Delion anwesend war, dann müssen wir davon ausgehen, dass er bereits wieder zurück ist von seiner Expedition, die ihn im selben Jahr (692 ndFl) wie Alexander hinüber nach Asien geführt hatte. Möglicherweise steht dies sogar im Zusammenhang mit der Flottenexpedition des Epaminondas (konv. 364 v.Chr.), die dazu geführt hat, dass sich Byzanz, Chios und Rhodos auf die Seite des Thebaners stellten. Trotz dieses Affronts soll es nicht zu einem Bruch mit Athen gekommen sein. Es kann sich bei dieser Flottenexpedition aber auch um ein späteres Ereignis handeln. Ich komme in jedem Fall wieder darauf zurück.
Da der Zeitpunkt der athenischen Delion-Offensive bereits der Winter (konv.) 424/23 v.Chr. ist, so kann die Rückkehr Alexanders mit seinem Heer zu dieser Zeit schon vorausgesetzt werden, wie ich weiter oben bereits angedeutet habe. Auch die Erwähnung des Lysimachos, eines der so genannten Diadochen, die konventionell fälschlich als Nachfolger des großen Alexander angesehen werden, die in Wirklichkeit jedoch zunächst lediglich die Satrapen des Darius sind, kann als Hinweis auf die bereits erfolgte Rückkehr Alexanders geltend gemacht werden.
Lysimachos soll von Darius bei seiner ersten Satrapien-Aufteilung, die schon in diesem Jahr erfolgte, als Satrap von Thrakien dem Thrakerkönig Seuthes vor die Nase gesetzt worden sein. (Bengtson, Seite 339) Auf europäischem Boden kam Lysimachos in den Besitz Thrakiens..., wo sich kurz zuvor folgendes ereignet hatte:
(Thuk. IV, 101) Gerade in den Tagen des Kampfes um Delion fiel auch der König der Odrysen, Sitalkes, in einer unglücklichen Schlacht gegen die Triballer. Gegen diese hatte sich auch Philipp eine Verwundung im Vorjahr zugezogen (Bengtson, S. 297). Möglicherweise gehören diese Kämpfe zu derselben Gelegenheit. An Stelle des Sitalkes wurde sein Neffe Seuthes, der angebliche Sohn des Sparadokos in Wirklichkeit aber des Maisades (Seuthes war der Bruder des Sparadokos), König der Odrysen und des übrigen Thrakiens, soweit es zum Reiche des Sitalkes gehörte. Dies war die Schaffung der thrakischen Provinz, die (konv.) im Jahre 342 v.Chr. gesehen wird, das aber dem Jahr 700 ndFl entspricht. Der Sohn Arianthides des Lysimachos wäre mithin ein Bruder des Agathokles (Basileus) gewesen, des späteren Attilius Regulus, dem wir ebenfalls bald begegnen werden.
Für Makedonien, das wie Thrakien eine Provinz des Perserreiches wurde, beginnt hier vermutlich die "makedonische Ära", die für das Jahr (konv.) 148 v.Chr. vorgesehen ist.
Zurück nach Delion: (Thuk. IV, 93) Mit solchen Worten (die Rede ersparen wir uns) feuerte Pagondas die Böoter an und überredete sie, wirklich gegen die Athener auszuziehen... Als Hippokrates, der noch in Delion war, von dem Herannahen der Böoter Nachricht erhielt, ließ er an das Heer den Befehl übermitteln, sich in Schlachtordnung aufzustellen, und kam selber bald nach. In Delion hatte er dreihundert Reiter zurückgelassen, einerseits um einem etwaigen Angriff auf Delion zu begegnen, anderseits um den kämpfenden Böotern im rechten Augenblick in den Rücken zu fallen. Jedoch hatten die Böoter ihnen eine Abteilung entgegengestellt. Als alles in Ordnung war, erschienen die Böoter oben auf dem Hügel und stellten sich in der beabsichtigten Ordnung auf; ... Die Thebaner standen fünfundzwanzig Mann tief, die anderen (Böoter) je nach Umständen. Das war die Aufstellung und Ordnung der Böoter. (94) Auf athenischer Seite standen die Hopliten im ganzen Heere acht Mann tief; ihre Zahl war ebensogroß wie die der Gegner.
Wird hier und in der in Absatz 96 anschließenden Schlachtbeschreibung mit holprigen Worten die berühmte "schiefe Schlachtordnung des Epaminondas" schon beschrieben? Wurde sie hier erstmals praktiziert? Konventionell hat es Epaminondas erst etwa sechzig Jahre später damit versucht.
Das athenische Heer wurde in die Flucht geschlagen; die nach Oropos und Delion Geflüchteten kehrten am folgenden Tage - Letztere unter Zurücklassung einer Besatzung - per Schiff nach Athen zurück. Gegen diese Entweihung ihres Heiligtums protestierten die Böoter durch einen Herold in Athen und forderten den Abzug der Athener aus Delion. Die Athener lehnten das ab mit dem Hinweis auf eigene Sicherheitsinteressen. Daraufhin stürmten die Böoter Delion und eroberten das Heiligtum (sechzehn Tage nach der Schlacht; Thuk. IV, 101). Die folgenden Absätze (Thuk. IV, 102-116) gehören in eine frühere Zeit, zu Amphipolis und Brasidas, die wir schon besprochen haben. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den "doppelten" Waffenstillstand, den ich an der früheren Stelle zu einem Teil dem Jahr 693 ndFl, zu einem anderen Teil jedoch dem Jahr (konv.) 423 v.Chr. analog 701 ndFl zugewiesen habe. Darauf komme ich dann wieder zurück.
Die mit der Rückkehr Alexanders des Großen verbundenen Einzelheiten in der konventionellen Geschichtsschreibung kranken alle daran, dass sie diesen Vorgang zweihundert Jahre nach Darius I und hundert Jahre nach "Darius II" erst wahr haben wollen. Außerdem verbinden die Vertreter der Schulwissenschaft den Tod dieses ihrer Meinung nach einzigen Alexanders (III) des Großen mit seiner Rückkehr aus Indien, und zwar in Babylon, wo dann auch gleich unter Prexaspes-Perdikkas, dem Ex-Chiliarchen des verstorbenen Kambyses, die Beschlüsse von Babylon gefasst werden. Das ist zunächst zwar wenig glaubwürdig; denn wenn Perdikkas ein Gefolgsmann des Kambyses und nicht seines eigenen Sohnes Alexander war, dann ist erstens nicht plausibel, wenn er diese Beschlüsse auf einer Konferenz in Babylon fasst, und zweitens ist nicht einzusehen, warum diese Beschlüsse ausdrücklich von einem Ex-Chiliarchen "überwacht" werden müssen, wenn Alexander und Darius im Lande sind; dennoch betreffen die "Beschlüsse von Babylon" - ob sie nun wirklich dort zustande gekommen sind oder nicht - das Jahr 700 ndFl (konventionell allerdings erst das folgende Jahr 323 v.Chr.) als erste Maßnahme nach der Thronbesteigung des neuen Großkönigs Darius I.
(Bengtson, S. 339) Unter der maßgebenden Leitung des Chiliarchen Perdikkas (der von Herodot Prexaspes genannt und dem Kambyses zugeteilt wird) schritt man zu einer Neuverteilung der Satrapien. Dabei fiel Ägypten dem Ptolemaios, dem Sohn des Lagos, zu (es handelt sich um den von Kambyses gefangen mitgeführten Psammetichos-Amasis, Sohn des Psammetich-Necho, und nicht, wie konventionell angenommen wird, um Ptolemaios I Soter); dem Eumenes (= Mursilis II, der Sohn des Suppiluliumas) wurden Paphlagonien und Kappadokien, Gebiete, die erst noch zu erobern waren (in konventioneller Sicht; denn es handelt sich hierbei um das hethitische Gebiet des Darius-Telepinus, also um das Land der Stadt Hattusas-Susa), dem Antigonos Monophthalmos (dem "Einäugigen"; das ist Philipp I, der feindliche Bruder des Perdikkas) Pamphylien, Lykien und Groß-Phrygien, dem Leonnatos (wird nur hier erwähnt) das hellespontische Phrygien zugesprochen.
Auf europäischem Boden kam Lysimachos in den Besitz Thrakiens, nominell unter der Aufsicht des "Strategen von Europa" Antipater.
Das Letztere heißt, dass Antipatros-Megabazos-Artaphernes der Ältere zunächst auf europäischer Seite bleibt, wo ihn Darius nach Abschluss seines Skythenfeldzuges auch belassen hat, und dass Lysimachos möglicherweise noch keinen Platz hier hat. Den kann er nach der zweiten Satrapien-Aufteilung auf der Konferenz von Triparadeisos = Susa-Hattusas bekommen haben. Ich bin aber der Meinung, dass Darius seinen Halbbruder Antipatros-Artaphernes jetzt schon zum Reichsverweser macht und nicht erst auf dieser Konferenz im Jahre 702 ndFl (siehe dazu weiter unten!). Perdikkas war als Parteigänger des Kambyses dieses Amtes jedenfalls enthoben worden.
Nach der Satrapien-Aufteilung veranstaltete Darius eine große Festlichkeit, deren Höhepunkt die "Massenhochzeit zu Susa" war (konv. 324 v.Chr. analog 700 ndFl). In dieser Stadt fand zwei Jahre später (konv. 321 v.Chr. analog 702 ndFl) die erwähnte Konferenz von Triparadeisos statt, auf der abermals eine Neuordnung der Satrapien und Ämter vorgenommen wurde. Beides, sowohl die Hochzeit vor seinem Tode als auch die Neuordnung der Satrapien danach, kann konventionell nur mit Alexander dem Großen verbunden werden. Der aber erlebte beides bei bester Gesundheit.
Wie viele Ereignisse gerade an dieser Zeitstelle konventionell durcheinander geraten sind, zeigt allein schon der folgende Absatz bei Bengtson (Seite 327f.):
Die makedonisch-persische Massenhochzeit zu Susa ist eines der bedeutendsten Symbole der völkischen Verschmelzungspläne Alexanders. Während sich der König selbst mit Stateira, einer Tochter des Darius III, und mit Parysatis, der jüngsten Tochter des Artaxerxes III Ochos, nach persischem Ritus ehelich verband, nahmen nicht weniger als 80 seiner vornehmsten Mitkämpfer und Freunde, unter ihnen Hephaistion, Krateros, Seleukos, Eumenes, und außer ihnen 10.000 Angehörige des makedonischen Heeres Perserinnen zu Frauen. Was gehört hiervon überhaupt in diese Zeit? Wer ist "der König"? Alexander der Große Nr. 1 oder die Nr. 2, zu der ein Teil dieser Taten gehört, oder Darius I?
Bei Krateros handelt es sich um Alexander selbst, wodurch der Platz des "Königs" in dieser Angelegenheit für Darius frei wird. Seleukos (I) ist Ariobarzanes-Ars(am)es-Arschu, der älteste Sohn (* um 675 ndFl) des Darius mit seiner ersten Ehefrau Parysatis (* ca. 660 ndFl), der Tochter des Nabopolassar-Gobryas und Schwester des Nebukadnezar-Otanes = Hystanes. Als Artaxerxes (I =) II Mnemon wird Ariobarzanes Nachfolger seines Vaters Darius (I =) II. Als Satrap der Persis soll er dem großen Alexander die "Persischen Tore" (bei Tang-i-Raschkân; Bengtson Seite 318) nach tapferer Verteidigung geöffnet haben. In neuer Sicht gibt das nur Sinn bei der Rückkehr des großen Alexander Nr. 1 und kaum unter Gewaltanwendung gegen den etwa fünfundzwanzigjährigen Ariobarzanes. Darius und nicht Alexander ist mit Parysatis verheiratet, die zudem nicht die Tochter eines noch ungeborenen Artaxerxes Ochos gewesen sein kann. Darius trennt sich von Parysatis und gibt sie Eumenes zur Frau.
Artaxerxes III Ochos gehört zu Alexander dem Großen Nr. 2. Zu demselben müsste auch Stateira gehören, wenn sie die Tochter des Darius III war; sollte sie aber die Tochter des Darius I gewesen sein, dann gehört sie zu Alexander dem Großen Nr. 1.
Der ebenfalls in diese Zeit gehörende "Mitkämpfer" (von welchem der beiden Könige auch immer, von Alexander oder von Darius) ist Eumenes. Von ihm haben wir zuletzt gehört, als er in Jerusalem "unter dem Mitteltor" stand: Nebuschasban, auch Nabu-schuzub-anni und Muschezib-Marduk, Schuzub, der Chaldäer, Nabu-ukin-zer, der Chaldäer und Mursilis (II). Der Name Eumenes ist abzuleiten von Hum(b)an-Haman-Haban-Uman = Nabu. Vor langer Zeit hatte er "Pestgedichte" geschrieben (676 ndFl). Jetzt nimmt er die Exgemahlin Parysatis-Laodike seines Oberherrn Darius zur Frau, der er den hethitischen Namen Gaschu-Lawija gibt. Von ihr wird er im Jahr 703 ndFl den Sohn Nabu-nadin-ach = Nabonid bekommen, den späteren Hattusilis III = Antiochos (Hierax) I/III = Eumenes II = Haman (vgl. dazu AT-Buch Esther!), der - wie seine Mutter - große Geschichte machen wird.
Obige Hochzeit wird in den Sommer des Jahres (konv.) 324 v.Chr. datiert, ein Jahr vor den gemutmaßten Tod Alexanders des Großen. Dessen Tod lässt aber noch einige Jahre auf sich warten. Zu erwähnen ist noch, dass Eurydike, die um 672 ndFl geborene Tochter des Phrygers Adrastos mit einer Tochter des Perdikkas, die vorher mit Pseudo-Smerdis = Arrhidaios verheiratet war, jetzt dem Amyntas, dem Sohn des Philipp, in die Ehe gegeben wird, von dem sie den Sohn Philipp (II) empfängt, der aber erst im folgenden Jahr und zu einem Zeitpunkt geboren werden wird, zu dem Eurydike bereits mit Alexander verheiratet ist. In einigen Jahren wird sie diesen umbringen lassen und den Mörder ihres Ehemanns heiraten, den Ptolemaios von Aloros (705 ndFl). Über diese Frau hatte ich schon im ersten Teilkapitel ausführlicher abgehandelt.
Das Jahr 701 ndFl
(Thuk. IV, 117) Gleich im Frühling des nächsten Jahres (konv. 423 v.Chr. analog 701 ndFl) schlossen die Lakedämonier und Athener einen einjährigen Waffenstillstand ab.
Auf die Zweizügigkeit dieses Vertrages war ich schon im Kapitel Die Jahre 693 und 694 ndFl ... eingegangen. Es stellt sich nun heraus, dass sogar von einem "dreifachen" Waffenstillstand ausgegangen werden muss; denn es sind offenbar auch Teile des Philokrates-Friedens in diesen Waffenstillstand des Laches hineingeraten, weil man offenbar Delphi und Delion miteinander verwechselt oder vermischt hat: So kam denn der Waffenstillstand, in den auch die Bundesgenossen eingeschlossen wurden, unter folgenden Bedingungen zustande:
(Thuk. IV, 118) "Bezüglich des Heiligtums und des Orakels des Pythischen Apollon scheint es uns gut, dass jedem, der will, der Zugang ohne Betrug und ohne Furcht offen stehe, wie es unserer Väter Brauch war. Die Lakedämonier und anwesenden Bundesgenossen (beachte: Bundesgenossenkrieg!) sind damit einverstanden und versprechen, nach Möglichkeit auch die Zustimmung der Böoter und Phoker durch Verhandlungen durchzusetzen. Was den Schatz des Gottes betrifft, so werden wir dafür sorgen, dass die Frevler (u. a. der Phoker Philomelos, der den delphischen Tempelschatz für seine Kriegskasse angesehen hatte) ausfindig gemacht werden, und werden ehrlich und gerecht nach den väterlichen Gesetzen dabei verfahren, und zwar wir und ihr und von den anderen jeder, der will, alle nach den väterlichen Gesetzen verfahrend. Hierüber also haben die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen das Gesagte beschlossen. Dann folgt mitten im Text ein Gedankenstrich!
Diese banale Feststellung soll das "Gesagte" wieder in die richtige Zeit holen, also in den Peloponnesischen Krieg; aber was hat das Gesagte mit Delion oder mit diesem Krieg zu tun? Soll der Gedankenstrich zwischen dem Vorstehenden und dem Folgenden etwa andeuten, dass der erste Teil des Absatzes 118 gar nicht hierher, sondern in den "Heiligen, amphiktyonischen Bundesgenossenkrieg" gehört? Jedenfalls geht es danach im selben Absatz weiter mit einer völlig anderen Sachlage:
- Das Folgende haben die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen beschlossen für den Fall, dass die Athener einen Vertrag eingehen sollten: jeder soll auf seinem Gebiet bleiben, und das behalten, was wir jetzt haben. ...
Dieser Vertrag, der den Statusquo der derzeitigen Verhältnisse sichern und nur für ein Jahr abgeschlossen werden soll, war sowohl von den Lakedämoniern als auch von den Athenern ausgearbeitet worden. Für letztere waren die Herren Phainippos (doch wohl der um 670 ndFl geborene Sohn des Kallias) und Nikiades verantwortlich gewesen. Laches empfahl die Annahme des Vertrages für Athen, der dann am 14. Tage des Monats Elaphebolion (Anfang April) für ein Jahr in Kraft trat und im Frühjahr des Jahres 702 ndFl auslief, wie wir das schon im Kapitel Die Jahre 693 und 694 ndFl ... besprochen haben.
Es sollen auch weiterhin in beiden Machtzentren, in Sparta wie in Athen, Verhandlungen in Richtung auf einen dauernden Frieden geführt werden. Auch hierbei betont der "Polemos" demokratische Strukturen: Sogleich sollen die Feldherren und Prytanen eine Volksversammlung berufen, um über den Frieden zu beraten. Unter den namentlich aufgezählten Unterzeichnern dieses Vertrages erscheinen mir erwähnenswert, weil sie chronologisch richtig unter bekannten Namen einzuordnen sind, die folgenden:
Euphamidas, Sohn des Aristonymos, von Korinth, Onasimos, Sohn des Megakles, aus Sekyon, und die athenischen Feldherren Nikostratos, Sohn des Dieitrephes, und Nikias, Sohn des Nikeratos.
Alles, was sonst noch unter 423 v.Chr. im "Polemos" aufgeführt wird, wurde schon "acht Jahre vorher" besprochen: 693 ndFl. Dafür betrachten wir uns jetzt das Jahr (konv.) 415 v.Chr. und suchen hier nach Ereignissen, die in das Jahr 701 ndFl gehören. Dazu zählt natürlich Sizilien, dem man sich nun mit dem Waffenstillstand im Rücken unbesorgt zuwenden kann:
(Thuk. VI, 30) Und darauf, es war schon Mitte des Sommers, ging wirklich der Zug nach Sizilien vonstatten. Von dem Sammlungsort Kerkyra aus überquerte die athenische Flotte den Ionischen Meerbusen auf das Vorgebirge Iapygia zu, das in Apulien liegt, also auf dem italienischen Festland. Die hier wohnenden Iapyger möchte ich für die Bewohner von Gabii halten, einer etruskischen Stadt.
In Syrakus soll Hermokrates eine Rede an das Volk gehalten haben (Thuk. VI, 33-35). Ihm antwortete der Volksführer Athenagoras, der das Vertrauen der Menge besaß (Absatz 36 - 41). Wie ich schon sagte, bin ich nicht der Meinung, dass Hermokrates, der Sohn des Hermon, als Tyrann über Syrakus herrscht. Er wird auch überhaupt nicht als Herrscher beschrieben, sondern eher als ein Mann (Thuk. VI, 72), der niemandem an Einsicht in allen Dingen nachstand, besonders aber reiche Kriegserfahrung besaß und durch Tapferkeit hervorragte. Er war wohl eher ein verdienter Mann aus den privilegierten Bürgern. Es ist allerdings jenseits allen Zweifels, dass sein Sohn Dionysios auf den Thron des Tyrannen von Syrakus kommen wird; aber es ist unumgänglich, dass Gelon noch vor dem Perserkrieg als Herrscher von Syrakus auftaucht, womit seine Gleichzeitigkeit mit Xerxes, die oben schon angedeutet worden war, untermauert würde.
Außerdem folgt der jüngere Bruder Hiëron des Gelon auf diesen zunächst in Gela und später in Syrakus (konv. 478-466 v.Chr., also erst nach dem Perserkrieg!), was in neuer Sicht jedoch nur möglich ist, wenn Gelon nach Dionysios auf den Thron von Syrakus kommt. Die Regierungszeit des Gelon, die konventionell etwa 491-478 v.Chr. gesehen wird, war gespalten: zuerst in Gela und später, ab 485 v.Chr. in Syrakus. In neuer Sicht sind die Tyrannen Gelon und Anaxilaos von Rhegion (konv. 494-476 v.Chr.) ebenfalls Zeitgenossen, und zwar im Peloponnesischen Krieg.
Mit den Athenern geht es folgendermaßen weiter (Thuk. VI, 44): In solcher Stärke zog diese erste Kriegsmacht über das Meer. Mit ihr aber fuhren dreißig Lastschiffe mit Proviant, mit Bäckern, Maurern, Zimmerleuten und den Belagerungsgeräten, ferner fuhren hundert kleinere Fahrzeuge, die dazu gepresst worden waren, mit den Lastschiffen. ...
Und der ganze Zug erreichte die Küste bei dem Vorgebirge Iapygia und bei Tarent... Sie fuhren dann an der Küste Italiens entlang, und da keine Stadt sie zum Markt und zur Innenstadt, höchstens zum Wasserholen und Ankern zulassen wollte, Tarent und Lokri nicht einmal dazu, gelangten sie endlich nach Rhegion, dem Endpunkt Italiens. ... Mit den Bewohnern von Rhegion knüpften sie Verhandlungen an und forderten sie auf, als Kolonisten von der Chalkidike (oder soll es richtiger heißen von Chalkis auf Euböa?) den Leontinern, die ebenfalls von der Chalkidike (?) stammten, beizustehen. Die aber erwiderten, dass sie es mit keiner der beiden Parteien halten, vielmehr dasjenige tun würden, was die übrigen Italioten gemeinsam beschlössen.
Nachdem die Schiffe aus Segesta mit der niederschmetternden Auskunft, es seien dort keine ausreichenden Mittel für die Kriegsführung vorhanden, nach Rhegion zurückgekehrt waren, verbreitete sich erster Pessimismus unter den Feldherren. Man fühlte sich von den Segestäern getäuscht und von den Rheginern im Stich gelassen. Von der Beratung der Feldherren, die vom "Polemos" geschildert wird, ist nicht viel zu halten, da Alkibiades, der junge Kadett, zu Wort kommt, der allen Grund hätte zu schweigen. Schließlich war er verdächtigt, am Hermenfrevel beteiligt gewesen zu sein.
Die Athener fahren die Küste entlang und stellen fest, dass sie nirgendwo so recht willkommen sind. Als sie in den großen Hafen von Syrakus einfahren, stellt sich ihnen kein syrakusisches Schiff entgegen. Sie verkünden von den Schiffen aus den Leontinern, die sich in der Stadt befinden sollen, dass sie gekommen seien, sie in ihre Stadt zurückzubringen. Über die Reaktion dieser Leute erfahren wir nichts, was die ganze Sache unglaubwürdig macht; denn wozu sollte dann das Gerufe dienen? Wie waren diese Leute nach Syrakus gekommen?
Darüber berichtet der "Polemos" an einer früheren Stelle, die konventionell dem Sommer 422 v.Chr. analog 702 ndFl zugehört, aber offenbar schon im Vorjahr oder in dem Jahr davor (701 oder 700 ndFl) ihren Anfang nahm (Thuk. V, 4):
Phaiax, Sohn des Erasistratos, fuhr mit zwei anderen athenischen Gesandten ... mit zwei Schiffen nach Italien und Sizilien aus. Die Leontiner nämlich hatten nach dem Friedensschluss, als die Athener Sizilien verlassen hatten (siehe Thuk. IV 58 und 65), viele neue Bürger aufgenommen; das Volk hatte vor, das Land neu zu verteilen. Die Mächtigen, als sie dies merkten, riefen die Syrakusier herbei und trieben das Volk aus der Stadt. Diese Leute irrten nun einzeln im Land umher, die Mächtigen aber trafen mit den Syrakusiern ein Abkommen, verließen ebenfalls die Stadt, welche verödete, und siedelten sich in Syrakus zwecks Einbürgerung an. Später verließ ein Teil davon, dem es nicht gefiel, Syrakus wieder und bemächtigte sich eines bei der Stadt Leontini gelegenen Fleckens, genannt Phokää, sowie des befestigten Brikinniä im leontinischen Gebiet.
Wenn diese Vorgänge auch alles andere als verständlich sind, so kann doch ein Hinauslaufen auf die gegenwärtige Situation nicht von der Hand gewiesen werden:
Da stießen nun vom Volke viele der seinerzeit Vertriebenen zu ihnen, und, nachdem sie sich in dem Mauerwerk fest eingerichtet hatten, benutzten sie es als Stützpunkt für kriegerische Unternehmungen (gegen Syrakus?). Auf diese Kunde hin schickten die Athener den Phaiax aus, in der Hoffnung, ihre dortigen Verbündeten und, wenn möglich, auch das übrige Sizilien zu einem Feldzug gegen das übermächtig werdende Syrakus zu bewegen, und dadurch das Volk der Leontiner zu erretten. Phaiax kam, gewann die Kamarinäer und Akragantiner; da er aber in Gela auf Widerstand stieß, zog er nicht weiter zu den übrigen, da er merkte, dass er keinen Erfolg haben werde. Vielmehr kehrte er durch das Gebiet der Sikeler bis nach Katane zurück ...
Einige Zeit später fuhr Phaiax wieder zurück nach Athen. Das betrifft das laufende Jahr, in dem die Athener ihren Stützpunkt in Katane haben:
Zurück in Katane (heutiges Catania), ihrer letzten Station vor Syrakus, erreichen die Athener durch Gewaltandrohung ein Bündnis und holen auch die Schiffe aus Rhegion nach hier. Ein Ausflug nach Kamarina bringt ebensowenig ein wie ein Gefecht mit syrakusischer Reiterei (Thuk. VI, 50-52).
Alkibiades wird vom Staatsschiff "Salamina" abgeholt, weil in Athen der Prozess wegen Mysterien- und Hermenfrevels gegen ihn eröffnet werden soll. Dann sagt der "Polemos" etwas ganz Entscheidendes für die berichtigte Geschichtsdarstellung: (Thuk. VI, 53) ... Im Volke wusste man durch Erzählungen, dass die Tyrannenherrschaft des Peisistratos und seiner Söhne gegen Ende sehr drückend geworden und auch nicht durch eigene Kraft und durch Harmodios beseitigt worden sei, vielmehr durch die Lakedämonier. Daher lebte man in beständiger Furcht und schöpfte bei jeder Gelegenheit Verdacht.
Deutlicher kann man es nicht machen: Die Zeit der Peisistratiden, die konventionell hundert Jahre zurückliegen soll, ist ja noch gar nicht vorbei! Es regieren doch beide Söhne des Peisistratos noch, sowohl Phokion-Hipparch als auch Demades-Hippias. Ersterer wird erst im Jahre (konv.) 514 bzw. 316 v.Chr. ermordet bzw. als Makedonenfreund hingerichtet werden. Jetzt, auf der Mitte dazwischen, im Jahre (konv.) 415 v.Chr., berichtet der "Polemos" ausführlich darüber im Zusammenhang mit der Sizilienexpedition und dem Prozess gegen Alkibiades. Darin scheint vordergründig kein Sinn zu liegen; doch die richtige Jahreszahl für den Tod des Phokion-Hipparch ist 702 ndFl = 178 v.Chr, das ebenfalls ein Panathenäenjahr war. Im Ersten Buch des "Polemos" wird über diesen Tod schon berichtet. Ich bin in dem entsprechenden Kapitel jedoch nicht darauf eingegangen und werde es auch jetzt noch nicht tun, da das noch nicht in dieses Jahr gehört. Einen Satz aus Thuk. VI, 54 möchte ich jedoch an dieser Stelle schon zitieren: Überhaupt machte er sich als Herrscher dem Volke durchaus nicht verhasst, sondern benahm sich untadelig, wie denn diese Tyrannenfamilie meist Tüchtigkeit und Einsicht gezeigt hat. Damit gemeint ist Hipparch.
Ist diese Zurückhaltung der Peisistratiden vielleicht die Erklärung dafür, dass im ganzen "Polemos" und auch in den Anschlusskapiteln in den Hellenika überhaupt kein Hinweis auf Phokion-Hipparch oder Hippias-Demades erfolgt, abgesehehen von der Erwähnung eines Hippias von Elis (Hell. VII, 15), der kaum mit dem Peisistratiden identisch sein dürfte? Oder hat der schon vielzitierte Redakteur diese Namen eliminiert, um seine Zeitdehnung nicht zu gefährden? Wir dürfen mit allem rechnen, auch wenn es noch so abwegig erscheint.
Der Prozess gegen Alkibiades wegen der Frevel, die er verübt hat oder haben soll, nahm eine unerwartete Wendung: Ein vermutlich Unschuldiger, der wegen anderer Dinge im Gefängnis saß und seine Haut zu retten gedachte, bezichtigte sich selbst dieser Taten und verhalf dadurch Alkibiades zum Freispruch. Die tatsächlichen Umstände wurden nie geklärt (Thuk. VI, 60).
Die beiden anderen Feldherren, die eigentlichen von Anfang an, Nikias und Lamachos, teilten das Heer in zwei Hälften, die sie untereinander auslosten. Sie brachen gemeinsam auf nach Selinus und Segesta, um festzustellen, ob die letzteren tatsächlich keine Mittel hatten. Sie umfuhren Sizilien links herum und wollten in der einzigen hellenischen Stadt in dieser Gegend Nordsiziliens, in Himera, landen. Da man sie nicht aufnahm, fuhren sie weiter und eroberten unterwegs die kleine sikanische Küstenstadt Hykkara, die mit Segesta verfeindet war. (Thuk. VI, 62) ... Die Bewohner wurden zu Sklaven gemacht und die Stadt an die (S)Egestäer übergeben, deren Reiterei sich eingestellt hatte. Dann zogen sie mit dem Heere durch das Gebiet der Sikeler wieder zurück ... bis ... Katane, während die Schiffe mit den Sklaven an Bord weiter um die Insel herumfuhren.
Es gelang Nikias, in Segesta dreißig Talente einzutreiben (was nach attisch-euböischer Währung ca. 780 kg Edelmetall bedeutete). Die Sklaven brachten dazu noch einen Erlös von hundertzwanzig Talenten. Auf der Weiterfahrt scheiterte ihr Versuch, das verfeindete Hybla im Hinterland von Gela einzunehmen. Darüber ging der Sommer zu Ende.
Nachdem beide Seiten kräftig aufgerüstet hatten, lockten die Athener im Winter die Syrakusier und deren Verbündete durch eine List nach Katane, während sie selbst über Nacht mit den Schiffen nach Syrakus segelten und beim dortigen Olympieion, einer Tempelfestung, in aller Ruhe ihr Lager aufschlugen. Am folgenden Tag stellten sich die Parteien zur Schlacht auf: Athener, Argeier und Mantineer sowie die übrigen Verbündeten, acht Mann tief, die Syrakusier mit Selinuntiern und anderen Verbündeten sechzehn Mann tief, dazu Reiter aus Gela und aus Kamarina sowie fünfzig Bogenschützen. Die Reiterei der Syrakusier umfasste allein zwölfhundert Mann.
Nach einer fiktiven Rede führt Nikias das Heer zum Angriff (Thuk. VI, 69). Jahreszeitlich bedingt verderben starker Regen und Sturm die Laune der Kämpfenden, so dass es mehr oder weniger unentschieden ausgeht. Die Athener fahren nach Katane zurück.
Hermokrates, den ich bekanntlich nicht als den Herrscher in Syrakus ansehe, sondern für einen Bürger von hohem Ansehen halte, wird von der syrakusischen Volksversammlung zum Feldherrn gewählt, außer ihm noch Herakleides, Sohn des Lysimachos, und Sikanos, Sohn des Exekestos. Außerdem schicken sie Gesandte nach Korinth und Lakedaimon, um ein Bündnis zu erreichen. Die Versuchung ist groß, Herakleides, den Sohn des Lysimachos, für Agathokles zu halten, ebenfalls einen Sohn des Lysimachos, von dem auch bekannt ist, dass er nach Syrakus ging und mit seinen Mamertinern am Punischen Krieg teilgenommen hat. Möglicherweise hatte aber auch ein Bruder des Agathokles namens Herakleides Beziehungen zu Sizilien.
Inzwischen soll Alkibiades, der seine Verbannung aus Athen zu befürchten hat, in Messina athenergebene Verschwörer, mit deren Hilfe die Athener Messina in die Hand bekommen wollen, bei den Freunden der Syrakusier in Messina verraten haben. Nach Bestrafung der Anführer dieser Verschwörung (Thuk. VI, 74) kommt es zum bewaffneten Aufstand, bei dem die Partei, die gegen die Aufnahme der Athener war, die Oberhand behält. Wenn jetzt den Athenern nichts anderes übrigbleibt, als sich in ihr Winterquartier in das sizilische Naxos zurückzuziehen, obwohl sie sich doch eben noch in Katane dasselbe vorgenommen hatten, dann müssen wir doch bezweifeln, dass dieser Vorgang in dieses Jahr gehört, in dem Alkibiades noch bei der Flotte war. Dieser Komplex gehört zum Jahre 709 ndFl, und bei der athenischen Flotte handelt es sich um die Häscher des Alkibiades.
Die Syrakusier entfalten in diesem Jahr (701 ndFl) eine wenig spektakuläre Diplomatie bei ihren Nachbarn. Dabei kommt es in Kamarina zu einem Streitgespräch zwischen dem Syrakusier Hermokrates und dem Athener Euphemos, das wir uns aber ersparen können. Die Kamarinäer bleiben ohnehin neutral. Die Athener haben mehr Glück bei den mitten im Land wohnenden Sikelern, von denen die meisten zu Hilfslieferungen an die Athener bereit sind, als bei den Bewohnern der Küsten, die sich vor Repressalien der Syrakusier fürchten.
Noch während des Winters verlegen die Athener ihr Lager wieder von Naxos nach Katane, worüber wir uns schon eine eigene Meinung gebildet haben: Sie waren in diesem Jahr gar nicht in Naxos. Sie schicken Gesandte nach Karthago und nach Tyrsenien, wo einzelne Städte ihre Teilnahme am Kriege hatten ankündigen lassen (Thuk. VI, 88).
Die Tyrsener sind die eigentlichen Etrusker, die unter Tyrsenos-Tarquinius-Remus nach Ombria-Umbrien eingewanderten Lyder-Hethiter. Sie haben sich seit einem halben Jahrhundert in den Gebieten der "uneigentlichen Etrusker", der Resen oder Rasen oder Rasenna, die seit langer Zeit in Italien ansässig sind, überwiegend friedlich angesiedelt und eingelebt. Diese späteren Plebejer leben um diese Zeit noch nicht in Rom, wo mit Lucius Tarquinius Superbus als letztem König der Lukaner, also der patrizischen Römer, die Königszeit ihrem Ende entgegengeht.
Hier deutet sich schon die Konfrontation all dieser Mächte an, die in den nächsten Jahren aufeinandertreffen werden. Für Anhänger der konventionellen Geschichtsdarstellung ist der Gedanke schwer vermittelbar, dass die Punischen Kriege in wenigen Jahren beginnen werden, also kurz nach dem Ende der römischen Königsherrschaft und mitten im Peloponnesischen Krieg. Für den überzeugten Anhänger der neuen Sicht ist es ebensoschwer vorstellbar, dass Hamilkar, der Bruder des Hannibal, schon zweihundert Jahre vor den Punischen Kriegen auf dem sizilischen Kriegsschauplatz erscheint (Bengtson, Seite 157).
Bevor wir uns andere Schauplätze des Jahres 701 ndFl ansehen, lohnt ein Blick zurück auf das, was nach konventioneller Ansicht in den Jahren der Abwesenheit Alexanders in Hellas bzw. Makedonien vor sich gegangen ist (Bengtson, Seite 328f.):
Während Alexander in Asien von Sieg zu Sieg eilte, war die Herrschaft der Makedonen in Hellas vorübergehend schweren Erschütterungen ausgesetzt gewesen. Der Spartanerkönig Agis III, der Sohn des Archidamos III, war in Verbindung mit den Persern getreten und hatte i. J. 332/1 v.Chr. fast die ganze Peloponnes vom Bündnis mit den Makedonen abspenstig gemacht.
Der Herrschaft der Makedonen in Hellas war zu dieser Zeit noch nicht ausgeprägt. Dass wir uns in der in Rede stehenden Zeit des Peloponnesischen Krieges befinden, geht aus der Filiation Agis (III), Sohn des (konv. 338 v.Chr.) in Italien umgekommenen Archidamos (III), unübersehbar hervor. In die Zeit dieses Krieges gehört auch der "Reformkönig" Agis IV von Sparta (stirbt konv. 241 v.Chr.) sowie der Staatsstreich des Kleomenes III in Sparta (konv. 227 v.Chr.). Dieser einzige Agis, den es gab, der Mitkönig des einzigen Kleomenes, den es gab, war im Jahre 698 ndFl auf seinen Vater Archidamos als König von Sparta gefolgt und hatte sehr wahrscheinlich schon am "Wettkriechen" in Susa teilgenommen, obwohl eine Beteiligung Spartas hieran nicht stattgefunden haben soll. Agis kann demnach gar nicht vor diesem Jahr von Antipatros-Megabazos-Pharnakes-Intaphernes = Artaphernes dem Älteren besiegt worden sein, wie es weiter bei Bengtson (Seite 329) heißt:
Im Sommer oder Herbst 331 wurde Agis jedoch bei Megalopolis von Antipatros, Stratege von Europa und Stellvertreter des makedonischen Königs beim Hellenenbunde, aufs Haupt geschlagen. Sparta musste dem Korinthischen Bunde beitreten, ...
Der "Polemos" erwähnt davon nichts. Ob es sich bei dieser Schlacht bei Megalopolis in Arkadien auf der Peloponnes um eine Aktion innerhalb des 3. Messenischen Krieges gehandelt hat, der im "Polemos" für das Jahr (konv.) 425 v.Chr. analog 699 ndFl beschrieben wird, oder um eine Operation, die von Theben in die Wege geleitet wurde, ist wegen der chaotischen Überlieferung nicht eindeutig zu klären. Ich neige dazu, die aufkommende Konkurrenz Theben-Sparta damit in Verbindung zu bringen, die am Ende zu der von mir schon mehrfach erwähnten Hegemonie Thebens (konv. 371-362 v.Chr. analog 700 bis 706 ndFl) unter Epaminondas geführt hat, der ein Verbündeter der Perser wie der Makedonen war. Der oben für das (konv.) Jahr 331 v.Chr. beschriebene Sieg des Antipatros (im Bunde mit Alexander oder Epaminondas oder sogar mit beiden) über Agis müsste ins Jahr 701 ndFl gehören und mit dazu beigetragen haben, dass Sparta mit Athen im Frühjahr schon den Waffenstillstand des Laches schloss. Megalopolis war die neugegründete Hauptstadt Arkadiens auf der Peloponnes. Der Arkadische Bund war (konv. 370 v.Chr. analog 699 oder 700 ndFl) gegründet worden.
Antipatros, der Halbbruder des Perserkönigs Darius, wurde von diesem nach dem Skythenzug in Europa eingesetzt und könnte von Thrakien aus auf der Peloponnes eingegriffen haben. Ob es sich um Megalopolis oder um Messenien handelte, ist nicht relevant. Wichtig ist das "Zeitfenster" zwischen 698 und 702 ndFl, in dem der Sieg errungen worden sein muss. Im folgenden Jahr 702 ndFl wird Antipatros, den ich nicht nur für den Strategen von Europa halte, sondern auch für den Reichsverweser, was mit Stellvertreter des makedonischen Königs beim Hellenenbunde holprig umschrieben worden ist, nicht nur eine Schlacht, sondern auch sein Leben verlieren. Dann wird Otanes-Nebukadnezar den Titel Stratege von Europa und das Heer am Hellespont übernehmen.
Wie sehr die konventionellen Chronologiestränge hier im argen liegen, ist nicht zu übersehen. Dabei kann es ohne weiters zu Fehlinterpretationen in der konventionellen Geschichte gekommen sein, zumal auch die Ereignisse, die zu dem zweiten großen Alexander gehören, in diese Jahre hineingemischt worden sind.
Das gilt auch für die Ereignisse, die in die Jahre 689-691 ndFl gehören, denen wir hier wieder begegnen: Demosthenes, der athenische Patriot und Heros der attischen Demokratie, der vor kurzem erst unter dem Namen Kleisthenes in Athen die Demokratie eingeführt hat, ist jetzt wie damals ein entschiedener Gegner Philipps, der Makedonen und so auch zwangsläufig der Perser. Auch er wird bald sterben - aber wie? Hier sind die Überlieferungen mehrdeutig und lassen zu, dass man die Geschehnisse neu zusammensetzt.
(Bengtson, S. 341f.) Neben Hypereides trat vor allem der attische Stratege Leosthenes als Gegner der Makedonen hervor. Wo kommt der denn auf einmal her? Hat da jemand den unteren Strich am Delta vergessen, so dass nur ein Lambda stehengeblieben ist? Sollte das nicht Demosthenes heißen? Mit diesem geht die Geschichte ja auch weiter; Bengtson fährt fort:
... Der griechischen Streitmacht ... war Antipatros, der Stratege von Europa, nicht gewachsen; er wurde in dem festen Lamia eingeschlossen (so genannter Lamischer oder Hellenischer Krieg). Demosthenes, der Heros der attischen Demokratie, kehrte im Triumph in seine Vaterstadt zurück. Das ist die unverblümte Einladung zur Identifizierung von Leosthenes mit Demosthenes und so auch mit Kleisthenes, dem Heros und Begründer der attischen Demokratie.
Zu dem "festen Lamia" zitiere ich Wikipedia: LAMIA, Hauptstadt der griechischen Region Mittelgriechenland. Geschichte: Obwohl die Stadt bereits im 5. Jahrtausend v. Chr. existierte, wurde sie nach einem Erdbeben im Jahre 424 v. Chr. erstmals urkundlich erwähnt. Damals war Lamia ein wichtiger Militärstützpunkt der Spartaner. Später jedoch eroberte Alexander der Große, König der Makedonen, die Stadt. Sein Nachfolger Antipater ... suchte bei einem Aufstand der Athener nach Alexanders Tod Zuflucht in der Stadt, worauf der einjährige Lamische Krieg folgte, der von 323 v. Chr. bis 322 v. Chr. dauerte und erst beendet war, als der Befehlshaber der athenischen Truppen, Leosthenes, gefallen und ein 20.000 Mann starkes makedonisches Entsatzheer angerückt war.
Im Sommer diesen Jahres brannte der Hera-Tempel in Argos ab, weil die Priesterin Chrysis bei einer brennenden Lampe eingeschlafen war. Sie floh aus Furcht vor Strafe, nachdem sie dieses Amt achtundvierzig Jahre lang ausgeübt hatte, davon zuletzt die ersten achteinhalb Jahre dieses Krieges (Thuk. II, 2; IV, 133), das wäre (konv.) vom Winter 432/31 bis zum Sommer 423 v.Chr. analog 692 bis 701 ndFl. Hier ist demnach der Kriegsbeginn ebenfalls schon im Jahre 692 ndFl gesehen worden ("langer" Krieg).
Wenn auch zwischen Athen und Sparta der Waffenstillstand (des Laches) eingehalten wurde, so konnte es doch zwischen Mantinea und Tegea (in Arkadien) und ihren Verbündeten bei Laodokeion in der Oresthis (ebenfalls in Arkadien) einen verlustreichen, aber ergebnislosen Kampf geben (Thuk. IV, 134). Der Streit kann auch im Zusammenhang mit den oben schon angesprochenen Aktionen des Antipatros bei der neuen Hauptstadt Megalopolis ausgebrochen sein, die uns in den folgenden Jahren noch beschäftigen wird.
Das Jahr 702 ndFl
(Thuk. VI, 94) Im darauffolgenden Sommer (konv. 414 v.Chr. analog 702 ndFl), gleich zu Beginn des Frühjahrs, liefen die in Sizilien befindlichen Athener von Katane aus und fuhren an der Küste entlang nach dem sizilischen Megara, aus welchem, wie ich früher erzählt habe (Thuk. VI, 4), die Bewohner unter der Regierung des Tyrannen Gelon durch die Syrakusier vertrieben und das Land von diesen selber in Besitz genommen worden war.
Es war einst Lamis gewesen, der mit Auswanderern aus dem hellenischen Megara (auf halbem Wege zwischen Athen und Korinth) nach Sizilien gekommen war und Trotilon am Fluss Pantakyas gegründet hatte. Nachdem er von den Leontinern als unerwünschter Mitbewohner vetrieben worden war, gründete er Thapsos, wo er starb. Wann auch immer dieser Lamis nach hier gekommen sein sollte - die Zeitangaben sind an dieser Stelle im "Polemos" horrend falsch.
Thuk. VI, 94 fährt fort: Sie stiegen aus, verwüsteten die Felder, kamen an ein Befestigungswerk der Syrakusier, und da sie es nicht erobern konnten, zogen sie mit der Land- und Seemacht weiter an den Fluss Terias (bei Leontinoi) ... Außer kleinen Gefechten und Plünderungen können sie nichts unternehmen. Die Athener warten auf Nachschub:
(Thuk. VI, 96) Und die Syrakusier erfuhren in demselben Sommer, dass Reiter zur Verstärkung für die Athener angekommen und sie im Begriff seien, Syrakus anzugreifen, und da sie überzeugt waren, dass die Athener, wenn es ihnen nicht gelang, sich der Epipolä, einer steilen Anhöhe hart über der Stadt, zu bemächtigen, nicht so leicht die Stadt einschließen könnten, selbst wenn sie im offenen Kampf überlegen blieben, planten sie, die Aufgänge zu besetzen, damit die Feinde nicht heimlich hinaufgelangen könnten. An anderer Stelle würden sie nicht dazu imstande sein, da die Gegend sonst abschüssig ist und sich bis zur Stadt hinunterzieht, so dass alles von innen überschaubar ist.
Unter der Führung des Hermokrates und seiner Feldherrnkollegen wurde dieses Vorhaben in die Tat umgesetzt. In derselben Nacht waren die Athener tatsächlich bei Leon nahe dem Epipolä gelandet, hatten die Landtruppen abgesetzt und waren mit der Flotte bis zur Landzunge Thapsos auf halbem Wege zwischen Syrakus und (dem sizilischen) Megara wieder zurückgefahren, wo sie ankerten. Hier sperrten sie die Zufahrt nach Syrakus mit Pfählen ab, während die Landtruppen im Laufschritt von Leon nach Epipolä aufbrachen, wo sie eintrafen, noch bevor die Syrakusier etwas bemerkt hatten. Die aufgeschreckt und ungeordnet anstürmenden Syrakusier wurden besiegt, ihr Anführer Domilos fiel im Kampf (Thuk. VI, 97).
In den folgenden Tagen bauten die Athener an einer Ringmauer auf der Epipolä bis hinunter nach Trogilos, und lieferten den Syrakusiern, die sie anzugreifen suchten, einige Niederlagen. Trogilos liegt zwischen Leon und Syrakus. Die Syrakusier bauten eine Gegenmauer, um die Arbeit der Athener zu sabotieren. Diese Quermauer wurde aber von den Athenern zerstört. Bei weiteren Gefechten fiel der athenische Feldherr Lamachos, während der andere, Nikias, jetzt der einzige Befehlshaber, auf dem Krankenbett lag. Von Alkibiades ist jetzt keine Rede mehr.
Die Syrakusier verlieren das Vertrauen in ihre Heerführer und wählen andere: Herakleides, Eukles und Tellias (Thuk. VI, 103). Herakleides, der Sohn des Lysimachos, war schon im Vorjahr dem Hermokrates an die Seite gestellt worden. Die beiden anderen Namen kamen bisher noch nicht vor.
Der Lakedaimonier Gylippos, der sich von Leukas aus mit von Korinth gestellten Schiffen auf den Weg machen wollte, um den Syrakusiern zu helfen - der Waffenstillstandes des Laches war im Frühjahr abgelaufen -, änderte seine Meinung, nachdem er von der Einschließung der Stadt gehört hatte. Gemeinsam mit dem Korinther Pythen, zwei lakonischen und zwei korinthischen Schiffen begab er sich nach Tarent, von wo aus er Gesandte nach Thuria (auch Thurioi geschrieben, ehemals Sybaris) schickte, um die Stadt unter Berufung auf das Bürgerrecht, das sein Vater dort einst besessen hatte, auf seine Seite zu ziehen. Zu beachten ist, dass Sybaris erst vor kurzem zerstört worden ist und der Wiederaufbau von Thurioi, an dem sich bekanntlich Herodot beteiligt haben soll, eigentlich noch nicht abgeschlossen sein kann.
Nach einem Absatz (105), der meines Erachtens ins Jahr 710 ndFl gehört, endet auch hier wieder ein Buch mitten in einem Jahr (konv. Sommer 414 v.Chr.), und die Handlung geht mit Gylippos und Pythen in Thuk, VII, 1 weiter: Beide wollen nun doch den Syrakusiern helfen und segeln über die Zwischenaufenthalte Rhegion und Messina nach Himera an der Nordküste Siziliens.
Hier bewogen sie die Bewohner von Himera, auf ihrer Seite in den Krieg einzutreten und sowohl selbst mitzuziehen als auch den Seeleuten ihrer eigenen Schiffe, soweit sie keine Waffen hatten, solche zu stellen... Auch wurden die Seluntier durch Boten aufgefordert, ihnen ... mit einem Heere entgegenzurücken. Eine kleinere Truppe ihnen zu schicken versprachen auch die Geloer und einige Stämme der Sikeler, welche seit dem kürzlichen Tode des Archonidas viel bereitwilliger zum Anschluss geworden waren. Dieser, einer von den Königen der Sikeler jener Gegend, war nicht ohne Macht und ein Freund der Athener gewesen.
Mit einer zusammengewürfelten Truppe machte sich Gylippos, der Sohn des Kleandridas, auf nach Syrakus. Als erste trafen jedoch die Korinther unter Gongylos, einem ihrer Führer, mit ihren Schiffen hier ein. Gylippos schlug den noch an der Mauer bauenden Athenern vor, Sizilien zu verlassen, damit sie ein Abkommen treffen könnten. Die Athener lachten ihn aber aus. Zu einer Schlacht kam es jedoch nicht, da die Athener ihre Stellung nicht verlassen wollten.
Die Syrakusier und ihre Verbündeten begannen nun, eine einfache Mauer quer durch Epipolai zu ziehen; denn in der Mauer der Athener war noch eine Lücke, durch die Gylippos die Athener angreifen wollte. Die Athener bemerkten das rechtzeitig, und so gab es auch diesmal keine Schlacht. Nikias ließ nun auch das so genannte Plemmyrion befestigen, einen Hügel unmittelbar neben dem großen Hafen, womit eine Blockade der Stadt möglich sein würde. Hier legte er jetzt drei Forts an, in denen das gesamte Kriegsmaterial gelagert wurde. Auch die Flotte schaffte er nach hier, auf die er nun das Hauptgewicht legte. Zu Lande hatte sich seine Schlagkraft seit dem Erscheinen des Gylippos verringert. Der "Polemos" bemerkt dazu (Thuk. VII, 4):
... Das war denn der Beginn und eine der Hauptursachen für die Leiden der Schiffsmannschaften. Das Trinkwasser nämlich war spärlich und nicht in der Nähe zu haben, und wenn die Mannschaften zum Holzsammeln ausrückten, wurden sie von den syrakusischen Reitern, die das Land beherrschten, niedergemacht. ... Inzwischen erfuhr Nikias auch von dem Herannahen der übrigen Schiffe der Korinther und schickte zu ihrer Überwachung zwanzig Schiffe aus, mit dem Befehl, ihnen bei Lokri, bei Rhegion und bei den Landungsstellen für Sizilien aufzulauern.
Bei einem Gefecht, das Gylippos zwischen den Mauern begonnen hatte, siegten die Athener, bei einem zweiten Angriff, den er von einer günstigeren Position aus führte, siegten die Spartaner und die Syrakusier. Die Athener waren von nun an nicht mehr in der Lage, den Syrakusiern mit der Mauersperre etwas anzuhaben (Thuk. VII, 6). Unbemerkt von den athenischen Wachtschiffen lief auch der korinthische Feldherr Erasinides mit zwölf Schiffen der Korinther und ihrer Verbündeten in Syrakus ein. Ihre Mannschaften halfen den Syrakusiern beim Bau des letzten Teils ihrer Mauer bis hin zur Quermauer, während Gylippos sich auf der Insel um neue Verbündete bemühte. Beide Parteien forderten auch Nachschub aus der Heimat an, Nikias schickte sogar einen Brandbrief mit, um die Athener auf die Gefährlichkeit der Lage in Sizilien eindringlich hinzuweisen (Thuk. VII, 8).
Im Winter trafen die von Nikias ausgesandten Boten mit dem Brief in Athen ein (Thuk. VII, 10-15). Den "etwa folgenden Inhalt" ersparen wir uns. Darauf stellten die Athener dem Nikias die Heerführer Menander und Euthydemos zur Seite.
(Thuk. VII, 16) ... Ferner beschlossen sie, ein weiteres Heer zu schicken, Landtruppen und Flotte, aus den Stammlisten der Athener und von den Verbündeten. Sie wählten als seine Mitfeldherren: Demosthenes, Sohn des Alkisthenes, und Eurymedon, Sohn des Thukles. Eurymedon wurde gleich zur Zeit der Wintersonnenwende nach Sizilien abgeschickt, mit zehn Schiffen, einhundertundzwanzig Talenten Silbers und zugleich mit Botschaft an das Heer, dass Nachschub kommen und man ihrer gedenken werde. (17) Demosthenes blieb noch da und bereitete die Ausfahrt für das Frühjahr vor, indem er die Verbündeten aufbot, Geldmittel, Schiffe und Hopliten in Athen selber bereitstellte.
Alkisthenes, das hatte ich an einer früheren Stelle schon gezeigt, ist ein zusammengesetzter Name aus Alkmaion und Kleisthenes, zweier Vorfahren des Demosthenes. Eurymedon war vor zwei Jahren bei seiner Rückkehr nach dem Frieden des Hermokrates mit einer Geldbuße belegt worden, weil man ihm vorwarf, er habe sich in Sizilien zum Abzug bestechen lassen. Die Feldherren Pythodoros und Sophokles wurden aus demselben Anlass sogar aus Athen verbannt (Thuk. IV, 65). Sein Name wurde auch schon im Zusammenhang mit Demosthenes und Laches erwähnt. Offenbar war er wieder rehabilitiert.
Demosthenes war im Vorjahr siegreich nach Athen zurückgekehrt, nachdem er Antipatros im festen Lamia eingeschlossen hatte. Wie ich schon sagte, ist unter dieser nichtssagenden Formulierung kein glanzvoller Sieg zu verstehen, der einen Triumph rechtfertigen würde. Was da wirklich los war, bleibt weitgehend im dunkeln. Nach diesem Sieg des Demosthenes-Leosthenes-Kleisthenes im Lamischen Krieg im Vorjahr wendete sich das Blatt in diesem Jahr (702 ndFl):
(Bengtson, Seite 341) Die Entscheidung fiel im Sommer 322 v.Chr. zur See. Athens Flotte musste bei Amorgos (Insel nahe Naxos in der Ägäis) vor dem makedonischen Admiral Kleitos die Flagge streichen. Für Athen bedeutete Amorgos den Verlust der Seeherrschaft und mit ihr den der führenden Stellung in Griechenland, und zwar für alle Zeiten.
Weder im "Polemos" noch in den Hellenika wird weder eine solche Schlacht noch der Name der Insel Amorgos erwähnt. Auch bei Bengtson erscheinen die Namen Lamia und Amorgos nur in diesem Zusammenhang. Der Admiral Kleitos, auch "der weiße Kleitos" genannt im Gegensatz zu dem "schwarzen", dessen Ermordung Alexander auf seinem Indien-Feldzug angeordnet haben soll, wurde nach anfänglichem Erfolge von Antigonos am Bosporus entscheidend geschlagen (Herbst 318 v.Chr.). Das würde vier Jahre nach Amorgos bedeuten, also 706 ndFl; da Antigonos-Philipp das Jahr 706 jedoch nicht mehr erreichen wird, so kann möglicherweise das Jahr 702 ndFl gemeint sein. Ob es tatsächlich einen "weißen" neben einem "schwarzen" Kleitos gegeben haben muss, wird angesichts der Tatsache, dass Alexander nicht sogleich nach seiner Rückkehr verstorben ist, eher fraglich; denn er kann den eventuellen einzigen Kleitos auch erst nach dessen Aktivitäten und einige Zeit nach seinem Indien-Feldzug ermordet haben.
Den Verlust der Seeherrschaft haben die Athener in konventioneller Sicht ebenfalls während des Peloponnesischen Krieges hinnehmen müssen. Dass wir uns jetzt mitten in diesem Krieg befinden, ist der neuen Sicht zuzuschreiben, durch die die Vorgänge aus dem vierten ins fünfte Jahrhundert der alten Sicht vorverlegt werden können. Allerdings behalten die Athener in neuer Sicht die Seeherrschaft noch lange nach Amorgos. Die ganzen Umstände um Lamia und Amorgos gehören in diese Phase der Geschichte. Das ergibt sich auch aus dem, was Bengtson weiter schreibt (Seite 341/2):
Als schließlich Antipatros, durch den Zuzug des Krateros verstärkt, zu Lande bei Krannon (in Thessalien; auch Kranon geschrieben, am Südabhang des Pelion-Gebirges) Sieger blieb, gewannen in Athen die Makedonenfreunde, geführt von Phokion und Demades, die Oberhand über die Radikalen. Und auch - angeblich sechzehn Jahre zuvor - bei der ersten Erwähnung dieser beiden durch Bengtson (Seite 300) handelt es sich um die Nachwirkungen dieser Niederlage: In Athen siegte nach anfänglicher Kopflosigkeit die Vernunft. Man ergriff die von Philipp angebotene Hand und schloss mit ihm Frieden (aber da Philipp gar nicht der Sieger war, gab es auch keinen Frieden, sondern nur eine Erneuerung der alten Freundschaft), für den sich Phokion, Aischines und Demades besonders einsetzten. Demosthenes hatte zu Schiff Athen verlassen.
Hier sind sie, die Tyrannen Hipparch und Hippias, die seit eh und je Freunde Philipps waren; doch sie waren auch die Freunde der Perser, was hier natürlich wichtiger ist, da Makedonien nur in konventioneller Sicht die Suprematie in dieser Zeit ist. Das gilt auch für die Zeit "davor", die natürlich ebenfalls diese jetzt in Rede stehende Zeit ist:
(Bengtson, Seite 255) Nicht allein in Thessalien, auch in Makedonien boten innere Wirren dem Eingreifen auswärtiger Mächte günstige Handhabe. In Thessalien waren [auf] Iason ... nacheinander seine Brüder Polydoros und Polyphron gefolgt. Beide endeten wie Iason durch Mörderhand. Daraufhin riefen die Aleuaden (das thessalische Herrscherhaus) die Intervention auswärtiger Mächte herbei: Alexander II, der König der Makedonen, legte seine Hand auf die Städte Krannon und Larisa.
Hierbei handelt es sich selbstverständlich um den Indieneroberer Alexander den Großen Nr. 1, der im Jahre (konv.) 369 v.Chr., in dem auch Messenien als Staat unabhängig wurde, die thessalischen Städte Krannon und Larisa besetzt haben soll. Diese Gleichzeitigkeit stimmt nicht auf das Jahr genau; denn die Erklärung der Unabhängigkeit Messeniens lag sieben Jahre vor der Schlacht bei Mantineia (418 und 362 v.Chr.), also im Jahre (konv.) 425/369 v.Chr. analog 699 ndFl, das Eingreifen Alexanders gehört erst in das Jahr 704 ndFl.
Die Ermordung des Jason (oder Iason) lag lange zurück im Jahre 689 ndFl, in dem der Brudermörder Polydoros dessen Nachfolger geworden sein soll. Vermutlich war er aber nur Mitregent in einer Tetrarchie (Viererherrschaft) von Tagoi (Herzögen), zu der auch sein Bruder Polyphron = Philipp I gehörte. Dieser ermordete Polydoros in diesem in Rede stehenden Jahr 702 ndFl in Larisa und bestieg als Alleinherrscher (jetzt erst Tagos?) den thessalischen Thron. Dies zu verhindern hatten Antipatros und Alexander in diesem Jahr bei Krannon vergeblich versucht; denn Krateros, der Abgott des makedonischen Heeres (so Bengtson), ist Alexander der Große, und der Tod des Krateros im Jahr (konv.) 321 v.Chr. entspricht dem Tod Alexanders im Jahre (konv.) 323 v.Chr. Hier kommt es daher zu einer verhängnisvollen Zweijahresdifferenz, da man konventionell den Tod des Krateros in Kleinasien nicht mit dem Tode Alexanders in Babylon synchronisieren kann. Es war ja auch ganz anders.
Die Ermordung des Alexander II gehört ins Jahr 705 ndFl. "Seine Hand legte er" im Jahre 704 ndFl auf Krannon und Larisa, wo er seinen Onkel Philipp-Pelop(ida)s-Polyphron-Polyperchon nicht nur festnahm, wie Bengtson (Seite 256) meint, sondern auch ermordete. Festgenommen hat er wohl zudem den "Genossen Ismenias des Pelopidas", den er einer Einmischung des Epaminondas zufolge wieder laufen lassen musste. Der Neffe des Polyphron, Alexander von Pherai, der als der Mörder Polyphrons gilt, wird konventionell nicht mit dem gleichzeitig regierenden Alexander II, dem König von Makedonien, identifiziert.
Dieser Alexander der Große Nr. 1, rechtmäßiger Erbe seines im Vorjahr (703 ndFl) verstorbenen Vaters Perdikkas, kann auch tatsächlich als Alexander II aufgefasst werden, wenn sein Großvater Alexandros-Kyknos als Alexander I geführt werden soll. Für dieses Jahr 702 ndFl gilt noch das, was Bengtson (Seite 255) schreibt: Makedonien war jedoch selbst zu wenig konsolidiert, um Thessalien wirklich zu beherrschen.
Bei dem, was man konventionell für den Sieg der Herren Antipatros und Krateros über die Athener angesehen hat, handelt es sich in Wirklichkeit um den Sieg des Peisistratidenfreundes Philipp-Polyphron über die Koalition von Alexander und Antipatros. Der eigentliche Feldherr dieser Aktion scheint jedoch Eumenes gewesen zu sein, was konventionell etwas anders gesehen wird:
(Bengtson, Seite 342f.) In Kleinasien aber war Eumenes als Perdikkas' Feldherr über Krateros und Antigonos siegreich geblieben. Krateros, der Abgott des makedonischen Heeres, war im Kampfe gefallen (321 v.Chr.).
Dass Perdikkas gegen seinen Bruder Antigonos-Philipp Krieg führt, erscheint vordergründig glaubhaft. Ob dieser Krieg aber unter dem Großkönig Darius einen Sinn ergibt, ist zweifelhaft. Gegen seinen eigenen Sohn Krateros-Alexander dürfte er wohl kaum Krieg geführt haben, und der Sohn hat auch keine Veranlassung, dies gemeinsam gegen seinen Vater mit einem Onkel zu tun, den er bald ermorden wird. Der Todfeind des Antigonos (Monophthalmos) = Philipp war nicht Eumenes, den er eigenhändig exekutiert haben soll, sondern sein Bruder Perdikkas und der Reichsverweser Antipatros, dessen Tod (konv. Sommer 319 v.Chr.) mit seiner Niederlage bei Krannon gegen Eumenes verbunden werden kann. Daher müssen er und Krateros schon vorher ihren Feldzug gegen die Ätoler abgebrochen haben (konv. Winter 322 v.Chr.). Hier scheint einige Unordnung in den Überlieferungen zu herrschen, die zu keinen vernünftigen Beurteilungen führen können.
Antipatros soll nach Krannon auf bedingunsloser Kapitulation bestanden haben. Das kann nur eine Fehlinterpretation sein; denn der Sieg gehörte eindeutig Philipp, wenn auch errungen durch Eumenes. Dieser Sieg verhalf den Peisistratiden in Athen wieder zur Geltung, die auch weiter keine Zeit verschwendeten (Bengtson, Seite 242):
An die Stelle der radikalen Demokratie trat nach vollzogener Übergabe eine Timokratie, die Ausübung des attischen Bürgerrechts wurde von einem Zensus von 2000 Drachmen abhängig gemacht. Timokratie bedeutet "Herrschaft Privilegierter", vom Typ her demnach eine Oligarchie = "Herrschaft Weniger".
Hier ist die gesuchte Stelle, an der die von Kleisthenes-Demosthenes schon eingeführte Demokratie vorübergehend wieder abgeschafft wurde. Erst nach der Vertreibung des Demades-Hippias hat sie in Athen wieder eine Chance. Ich möchte jedoch wieder einmal in der Zeit vorgreifen, und zwar die bewussten acht Jahre, und aus Thuk. VIII, 63 (konv. Sommer 411 v.Chr.) zitieren:
... Gerade zu jener Zeit nämlich (Milet ist noch nicht zerstört), oder schon etwas früher, (411 v.Chr. entspräche 713 ndFl, acht Jahre zurück wäre 705 ndFl, "schon etwas früher" kann deshalb auch das Jahr 702 ndFl sein) war es in Athen zum Sturz der Demokratie gekommen. Die folgenden Passagen enthalten immer wieder Hinweise auf die nun in Athen herrschende Oligarchie, in der es auch nicht opportun sein könne, Alkibiades zurückzurufen. Der Redakteur hat ganz offensichtlich Schwierigkeiten, die junge Oligarchie in die Ereignisse des Dekeleïsch-Ionischen Krieges (konv. 414-404 v.Chr.) einzuordnen. Da gehört sie ja auch in Wirklichkeit gar nicht hin, sondern ins Jahr 702 ndFl, das konventionell dem Jahr 422 v.Chr. entsprechen würde. Nur vom Redakteur kann deshalb auch der folgende Satz aus Thuk. VIII, 68 stammen:
... Wirklich war es nichts Kleines, dem athenischen Volke gerade hundert Jahre, nachdem es die Tyrannen verjagt hatte, seine Freiheit zu nehmen...
Hipparch wird in diesem Jahr 702 ndFl ermordet, Hippias wird in zwei Jahren gestürzt werden. Darauf gehe ich weiter unten näher ein. Das Ende dieser Oligarchie gehört dann in das Jahr (konv.) 704 ndFl, in dem Hippias gestürzt und die Demokratie wieder eingeführt wird. Von einer "Übergabe" (der Stadt Athen an die Makedonen) nach der Niederlage bei Krannon kann keine Rede sein. Im Zusammenhang mit der vorübergehenden Abschaffung der Demokratie in Athen steht jedoch ein ähnlicher Vorgang:
(Bengtson, Seite 344) Athen, in dem die Herrschaft Polyperchons (= Philipp-Antigonos, Nachfolger des Reichsverwesers Antipatros) auf schwachen Füßen stand, wechselte auf die Seite des Kassandros über (Frühjahr 317 v.Chr.) Dies war nur möglich im Jahre 704 ndFl, in welchem der Reichsverweser Polyperchon gestorben war. Kassandros war eifrig bemüht, die Nachfolge seines Vaters Antipatros als Reichsverweser anzutreten. Nach dem Tode des Freundes der Peisistratiden, des Philipp-Polyperchon, hatte Athen die Wahl, wem es die Gunst der neuen Freundschaft schenken wollte. Kassandros-Artaphernes der Jüngere war nicht die schlechteste Wahl für die Peisistratiden.
Den Tod des Antipatros, den er allgemein Artaphernes den Älteren nennt, aber auch Pharnakes, beschreibt Herodot als den Tod des Intaphernes kurz nach der Thronbesteigung des Darius als Großkönig (III, 118). Zeitlich kommt das natürlich hin, sachlich scheint es wohl nicht gerechtfertigt zu sein, diese Geschichte zu glauben. Jedenfalls ist durch den Tod des Antipatros zunächst die Stelle des Strategen von Europa frei geworden, die von Nebukadnezar-Otanes alsbald besetzt wird, der das Heer des Megabazos-Pharnakes-Antipatros-Intaphernes-Artaphernes am Hellespont als neuer Stratege von Europa übernimmt.
Noch vor dem Ableben des Antipatros muss in Susa-Hattusas = Triparadeisos von Darius I die Satrapien-Neuverteilung vorgenommen worden sein, auf die ich schon im 1. Kapitel dieses X. Buches eingegangen bin. Es ist denkbar, dass sie in einem Zusammenhang mit dem Abfall des von Kambyses in Ägypten eingesetzten Nepherites-Apries-Hophra (Nefer-uach-ib-Re) steht, andererseits kann auch jetzt die Ablösung dieses Vaters des Haremhab (Necht-Hor-em-heb) durch den Sohn Ptolemaios (Epi-)Phanes = Amasis Men-pechti-Re des Lagos (Menelik) = Necho (Baïna-Lechem, Biëneches) geplant oder erst in Angriff genommen worden sein, wenn sie schon bei der vorigen Satrapien-Aufteilung geplant worden war.
Antigonos Monophthalmos = Philipp I, seit Triparadeisos Stratege von Asien, wurde mit der Führung des Feldzuges nach Ägypten beauftragt. In Tyros erreicht ihn die Nachricht vom Tode des Reichsverwesers Antipatros. Sogleich ruft sich Polyperchon = Philipp I zum neuen Reichsverweser aus (Polyperchon 319, Antigonos Monophthalmos 315 v.Chr.; beide Vorgänge sind miteinander identisch). Er wird diesen Posten zwei Jahre lang behalten (Polyperchon als Reichsverweser abgesetzt: 317 v.Chr.): bis zu seinem Tode im Jahre 704 ndFl. Eumenes = Mursilis II wird anstelle des neuen Reichsverwesers Reichsfeldherr in Asien (konv. 318 - 316 v.Chr.).
Nach Ansicht Bengtsons (Seite 343) wurde Polyperchon auch neuer Stratege von Europa, was natürlich Otanes betrifft. Verständlich klingt jedoch, dass der Sohn Kassandros des Antipatros, also Artaphernes der Jüngere, sich gegen den neuen Reichsverweser Polyperchon stellte. Wenn er das aber gemeinsam mit Antigonos, Ptolemaios und Lysimachos tut, wie es heißt, dann klingt das falsch; denn mit Antigonos ist sicherlich Monophthalmos gemeint, also Polyperchon-Philipp selbst, und Ptolemaios kann nicht Amasis-Phanes sein, der auf dem Wege nach Ägypten ist. Es ist sein Sohn Ptolemaios damit gemeint, Euergetes-Physkos oder Sethos Men-maat-Re, der noch einige Jahre in Hellas bleiben und erst nach dem Tode seines Vaters (717 ndFl) als Psamtschek oder Amyr-Teos die Untersatrapie Ägypten übernehmen wird. Zur Zeit scheint er mit Kassandros liiert zu sein.
Wenn Polyperchon dann auch noch mit Hilfe eines durch den König Philipp Arrhidaios erlassenen Dekretes versucht, den Korinthischen Bund Philipps und Alexanders wieder zu beleben (Bengtson Seite 343), dann scheint die ganze Welt nur noch aus Alteregos von Philipp zu bestehen; denn auch der angebliche Philipp III Arrhidaios ist doch in Wirklichkeit Philipp I. Wenn schließlich sogar Polyperchon i. J. 317 durch ein auf Veranlassung der Eurydike erlassenes Dekret des Königs Philipp Arrhidaios seines Amtes enthoben wurde (Bengtson, Seite 344), dann sind wir völlig verwirrt.
Es hilft uns hier vielleicht eine Stelle bei Bengtson, Seite 286; es geht um den angeblichen Hilferuf der Thessaler an Philipp im amphiktyonischen Krieg konv. 353 v.Chr.:
Seine (Philipps) Erfolge waren umso bedeutungsvoller, als Böotien, der andere Widersacher, stark geschwächt war. Der böotische Bund hatte sich mit einer namhaften Streitmacht unter dem Befehl des Pammenes in die Wirren der kleinasiatischen Satrapenaufstände gestürzt, und zwar bemerkenswerterweise als Verbündeter des aufständischen Artabazos. Infolge der Eigenmächtigkeit des Pammenes endete die Expedition für die Böoter mit einem vollständigen Misserfolg.
Da Artabazos = Artaphernes der Jüngere = Pharnabazos = Kassandros erst im Jahre 680 ndFl als Sohn des Pharnakes = Artaphernes des Älteren = Intaphernes = Antipatros und einer Tochter des Kyros geboren wurde, kann der mit ihm verbundene Aufstand nicht vor 699 ndFl, dem Todesjahr des Kambyses, in welchem Artabazos frühestens heerfähig geworden sein kann, ausgebrochen sein. Es handelt sich in der Tat um eine Revolte des Artabazos-Kassandros, des Sohnes des soeben verstorbenen Megabazos-Antipatros, und gehört ins Jahr 702 ndFl.
Bei Herodot kommt im Zusammenhang mit der Thronbesteigung des Darius dessen Kontroverse mit seinem Halbbruder Intaphernes = Artaphernes der Ältere zur Sprache, den er ins Gefängnis steckt, und dessen Gemahlin lieber ihren Bruder als ihren Gatten aus dem Gefängnis frei haben möchte. Verwundert über diesen Wunsch gibt ihr Darius aber nicht den Bruder, sondern den ältesten Sohn frei, also Artabazos, wie wir jetzt sagen können, und ließ alle anderen töten (Herodot III, 19). Diese anderen sind die aufständischen Satrapen, denen Epaminondas-Pammenes zu Hilfe geeilt und dabei offenbar gescheitert war, und das gehört nicht ins Jahr der Thronbesteigung, sondern ins Todesjahr des Intaphernes = Antipatros. Nicht dieser war es, der inhaftiert wurde, sondern dessen Sohn, und der muss unbedingt wieder frei kommen; denn Artaphernes der Jüngere = Pharnabazos wird noch lange gebraucht.
Keine Rede sein kann daher davon, dass Böotien in der Zeit des amphiktyonischen Krieges durch diese missglückte Expedition des Epaminondas-Pammenes geschwächt war. Verwunderlich ist allerdings die Parteinahme des Epaminondas, des Bundesgenossen des mit Darius befreundeten Pelop(ida)s = Philipp, mit Gegnern des Darius; aber er war längere Zeit mit Alexander in Asien und könnte daher dasselbe gute Verhältnis zu Philipp-Pelopidas noch nicht wieder hergestellt haben, das er zu ihm vor Jahren auf dem Illyrer-Feldzug besessen hatte.
Der aus nur wenigen Zeilen bestehende Absatz Thuk. VII, 9 enthält eine Information, die das Jahr (414 + 8 + 8 =) 430 v.Chr. analog 694 ndFl betrifft: Gegen Ende desselben Sommers unternahm der athenische Feldherr Euetion in Gemeinschaft mit Perdikkas und zahlreichen Thrakern einen Zug gegen Amphipolis. Er konnte zwar die Stadt nicht nehmen, fuhr aber mit Trieren in den Strymon ein und belagerte sie vom Flusse her, indem er Himeräon zum Ausgangspunkt nahm. Damit ging dieser Sommer zu Ende. Der Leser wird an der richtigen Stelle diesen Versuch einordnen können; denn der Hauptakteur Perdikkas ist in diesem Jahr (702 ndFl) an der Hauptfront der Perser beschäftigt: in Ägypten. Hier wird er im folgenden Jahr ermordet werden.
In Athen und Sparta kommen jetzt Friedenswünsche auf. Noch im Winter (konv.) 422/21 v.Chr. analog 702/703 ndFl werden die ersten Verhandlungen geführt. Wie ich aber an anderer Stelle schon gesagt habe, sind die Verhandlungen über den Waffenstillstand zur Zeit des Brasidas und der "Pest" in Athen (693 ndFl) sowohl mit den im Zusammenhang mit dem Waffenstillstand des Laches (701 ndFl) stehenden als auch mit denen um den Frieden des Nikias, der jetzt ansteht, vermischt worden:
(Thuk. V, 14) Gleich nach dem Kampf bei Amphipolis und nach dem Rückzug des Ramphias aus Thessalien kam es dahin, dass von keiner der beiden feindlichen Seiten mehr eine Kriegshandlung stattfand, sondern die Friedensstimmung wuchs: bei den Athenern, weil sie bei Delion und jüngst wieder bei Amphipolis geschlagen worden und dadurch das Vertrauen in ihre Stärke verloren hatten, welches sie vordem zur Ablehnung der Verträge bewogen hatte. Ihr damaliges Glück schien ihnen den Sieg zu gewährleisten. Auch fürchteten sie, dass der Abfall ihrer Verbündeten, die durch die Fehlschläge kühn gemacht worden, noch zunehmen werde. So kam ihnen die Reue, dass sie nach dem Erfolg in Pylos nicht Frieden gemacht hatten.
Was die Lakedämonier angeht, so war der Krieg gegen ihre Erwartung verlaufen. Sie hatten gemeint, die Macht der Athener durch die Einfälle in ihr Land in wenigen Jahren brechen zu können. Statt dessen waren sie durch das Unglück auf der Insel (Sphakteria) so schwer getroffen worden, wie es Sparta noch nie erfahren hatte; ihr eigenes Land wurde von Pylos und Kythera aus verheert; die Heloten liefen über, und die Gefahr bestand, dass auch die Zurückgebliebenen, im Vertrauen auf die außer Landes Gegangenen, die Gelegenheit, wie früher schon, zu einem Aufstand benutzen würden. Dazu kam noch, dass ihr dreißigjähriger Waffenstillstand mit Argos ablief und die Argeier einen neuen nur dann abschließen wollten, wenn man ihnen das Gebiet von Kynuria abtrat. Gegen Argos und Athen zugleich Krieg zu führen war aber offensichtlich unmöglich; auch argwöhnten sie, dass einige von den Städten in der Peloponnes zu den Argeiern übergehen würden, was dann auch eintrat,
Der dreißigjährige Waffenstillstand mit Argos wird konventionell im Jahre 451 v.Chr. gesehen, also mitten in der Pentekontaëtie. Er gehört natürlich ins Jahr 673/674 ndFl, wenn sein Ablauf tatsächlich jetzt anstehen sollte. In jene Zeit des Beginns der Kroisos-Herrschaft gehören in Sparta die Könige Hegesikles (= Hegesilaos; 650-675 ndFl) und Leon (650-680 ndFl), denen es nicht gelang, Tegea (in Arkadien) zu erobern. Das war deren Nachfolgern Ariston (675-691 ndFl) und Anaxandrides (680-690 ndFl) zur Zeit der Regierung des Kroisos erst vergönnt. Ein Abkommen mit Argos in dieser Zeit ist nicht auszuschließen, zu beachten ist auch die Neutralitätserklärung von Argos am Beginn des Peloponnesischen Krieges (Thuk. II, 9).
Aus dem Wirrwarr der Waffenstillstände und der anachronistischen Zeitangaben lässt sich nur schwer herauslesen, wie der Friede zustande kam. So werden Nikias, der Sohn des Nikeratos, der ganz eindeutig in diese Zeit gehört, und Pleistoanax, der angebliche Sohn des Pausanias und angeblich derzeitiger König der Lakedaimonier, hemmungslos zu Zeitgenossen gemacht, ohne Rücksicht darauf, dass Pleistoanax = Pleistarchos der noch gar nicht geborene Sohn des Leonidas ist und die derzeitigen Könige in Sparta Agis und Kleomenes heißen.
Schlimmer noch: Thuk. V, 18 sagt so ungefähr dasselbe, was auch in Thuk. IV, 118 "Bezüglich des Heiligtums und des Orakels des Pythischen Apollon" bereits gesagt worden war, und das wir deshalb mit dem Frieden zu Delphi nach dem "Heiligen, amphiktyonischen Krieg" in Verbindung gebracht hatten:.
"Es haben die Athener und Lakedämonier und ihre Verbündeten die folgenden Abmachungen getroffen und dieselben Stadt für Stadt bechworen. Was die gemeinsamen heiligen Stätten angeht, so soll, wer da will, hingehen, opfern, Orakel einholen, Feste besuchen, nach Väterbrauch, ohne Gefahr, so zu Lande wie zu Wasser. Der Tempel des Apollon zu Delphi und der Tempelbezirk und die Stadt Delphi sollen weiterhin unter eigenem Gesetz, unter eigener Besteuerung und eigenem Recht leben, sie und auch ihr Land, nach Väterbrauch. Dieser Vertrag aber zwischen den Athenern und den athenischen Verbündeten und den Lakedämoniern und den lakedämonischen Verbündeten soll fünfzig Jahre lang Bestand haben, ohne Falsch und ohne Verkürzung, so zu Lande wie zu Wasser." Wegen der anachronistischen Vermischungen sollte nicht näher auf Einzelheiten des Vertrages eingegangen werden.
Der Beginn des Vertragslaufes wird in Sparta auf den vierten Tag des abnehmenden Monats Artemision unter dem (eponymen) Ephoren Pleistolas datiert, in Athen auf den sechsten Tag des abnehmenden Monats Elaphebolion unter dem Archonten Alkaios.
Der elfte Ephoros eponymos von den insgesamt neunundzwanzig für diesen Krieg aufgeführten, mithin der des elften Jahres des "langen" Krieges, der in der zweiten Hälfte des Jahres 692 ndFl begann. war den Hellenika (II 3, 10) zufolge tatsächlich Pleistolas. Er versah dieses Amt vom Sommer 702 bis zum Sommer 703 ndFl. Somit gehört der soeben beschlossene Friede in den Winter des Jahres (konv.) 422/21 v.Chr. analog 702/703 ndFl, das in Wirklichkeit schon das elfte Jahr ist, wenn auch der Autor (oder ist es der Redakteur?) meint, dass erst mit dem folgenden Sommer das elfte Jahr des von ihm beschriebenen Krieges beginne. Dieses Problem mit dem "langen" und dem "kurzen" Krieg hatten wir schon zu Beginn der Besprechung des Peloponnesischen Krieges gelöst. So heißt es auch in Thuk. V, 20:
Der Abschluss dieses Vertrages aber wurde zu Ende des Winters mit dem beginnenden Frühjahr vollzogen, gleich nach dem Fest der städtischen Dionysien, gerade zehn Jahre ... nach dem ersten Einfall in das attische Land, womit dieser Krieg seinen Anfang genommen hatte.
Der Einfall in Attika fand tatsächlich erst im Jahre 693 ndFl am Anfang des "kurzen" Krieges statt, also im kommenden Frühjahr vor zehn Jahren. Trotzdem liegt in Hell. II 3, 10 ein Fehler vor: Da der Krieg nach 27 1/2 Jahren im Frühjahr bzw. Winter des Jahres (konv.) 404 v.Chr. analog 720 ndFl zu Ende ging, dürften nur achtundzwanzig Ephoren während des Krieges amtiert haben. Das ist auch vermutlich ursprünglich so angegeben worden; einer von ihnen, Pytias, ist nämlich zweimal aufgeführt, und zwar einmal unmittelbar vor und einmal etwas später nach Pleistolas. Ich halte den zweiten Pytias-Eintrag für "Füllmaterial".
Die Kriegs-Ephoren in Sparta gemäß Hellenika II 3, 10 |
|
|
v.Chr. |
ndFl |
|
|
v.Chr. |
ndFl |
1. |
Ainesias |
432/31 |
692/93 |
15. |
Chairilas |
418/17 |
706/07 |
2. |
Brasidas |
431/30 |
693/94 |
16. |
Patesiadas |
417/16 |
707/08 |
3. |
Isanor |
430/29 |
694/95 |
17. |
Kleosthenes |
416/15 |
708/09 |
4. |
Sostratidas |
429/28 |
695/96 |
18. |
Lykarios |
415/14 |
709/10 |
5. |
Exarchos |
428/27 |
696/97 |
19. |
Eperatos |
414/13 |
710/11 |
6. |
Agesistratos |
427/26 |
697/98 |
20. |
Onomantios |
413/12 |
711/12 |
7. |
Angenidas |
426/25 |
698/99 |
21. |
Alexippidas1 |
412/11 |
712/13 |
8. |
Onomakles |
425/24 |
699/700 |
22. |
Misgolaidas |
411/10 |
713/14 |
9. |
Zeuxippos |
424/23 |
700/01 |
23. |
Isias |
410/09 |
714/15 |
10. |
Pityas |
423/22 |
701/02 |
24. |
Arakos2 |
409/08 |
715/16 |
11. |
Pleistolas |
422/21 |
702/03 |
25. |
Euarchippos3 |
408/07 |
716/17 |
12. |
Kleinomachos |
421/20 |
703/04 |
26. |
Pantakles4 |
407/06 |
717/18 |
13. |
Ilarchos |
420/19 |
704/05 |
27. |
Archytas5 |
406/05 |
718/19 |
14. |
Leon |
419/18 |
705/06 |
28. |
Endios6 |
405/04 |
719/20 |
1: Thuk. VIII, 58 (Winter 412/11): im 13. Reg.-Jahr des Darius;
2: im 14. (statt26.) Kriegsjahr Nauarch nach Lysandros (Hell. II 1, 7);
3: in Hell. I, 2, 1 richtig für das Jahr der 93. Olympiade angegeben;
4: in Hell. I, 3, 1 falsch für das [23. Kriegsjahr] angegeben;
5: die zweite Erwähnung von Pityas wurde ausgelassen;
in Hell. II 1, 10 richtig als Ephor für 27. Kriegsjahr angegeben
6: in Hell. II 3, 1 als Endias Ephor im letzten Kriegsjahr. |
Die Ämterwechsel fanden jeweils im Winter statt (Thuk. V, 36). |
Auf die Unterzeichner des Vertrages (Thuk. V, 19) gehe ich nicht ausführlich ein, da sie zum Teil anachronistisch und vor allem nicht nachprüfbar sind. Auf spartanischer Seite erscheinen mir Agis und Pleistolas glaubhaft, während ich Kleomenes vermisse; als Namensgeber des Vertrages halte ich auf athenischer Seite vor allem Nikias für richtig, ebenso Demosthenes, während ich Lamachos bestreite, da er bereits vor Syrakus gefallen ist. Dass Kleon auf athenischer und Brasidas auf spartanischer Seite plötzlich nicht mehr dabei sind, ist ganz selbstverständlich: sie sind ja beide schon seit acht Jahren tot, obwohl sie in diesem Jahr immer noch im "Polemos" aufgetaucht sind. Auch das wurde weiter oben schon besprochen (unter 694 ndFl).
In Anbetracht dessen, was in den folgenden Jahren an kriegerischen Ereignissen vorkommen wird, ist es fraglich, ob es diesen "Patchwork"-Friedensvertrag, der eine Ansammlung von mehreren Vertragsinhalten darstellt, überhaupt gegeben hat. Auffallend ist, dass im Vertrag mit keinem Wort Sizilien erwähnt wird, wo die Kämpfe sogleich weitergehen, so als ob der Friede hierfür gar nicht zutreffend sei. Es beginnt auch der zweite Teil des Peloponnesischen Krieges, der so genannte Dekeleisch-Ionische Krieg (konv. 414-404 v.Chr.), schon in wenigen Jahren, womit dann der Frieden, der fünfzig Jahre halten sollte, abgelaufen ist. Immerhin sind es ja noch achtzehn Jahre bis zum Ende des Krieges.
Das Jahr 703 ndFl
Der Friede des Nikias tritt im Frühling dieses Jahres in Kraft - wenn es ihn denn überhaupt gab; denn Zweifel sind nicht ganz unberechtigt, und wenn es heißt (Thuk. V, 21), die Lakedaimonier hätten Ischagoras, Menas und Philocharidas an Klearidas nach Thrakien gesandt mit dem Befehl, die Stadt Amphipolis an die Athener auszuliefern, dann wissen wir doch, in welchen Zusammenhang dies in Wirklichkeit gehört: Brasidas lässt grüßen! In Thuk. IV, 132 heißen die Begleiter des Ischagoras Ameinias und Aristeus.
Einige der Verbündeten der Lakedaimonier verweigern dem Vertrag die Unterzeichnung. In Sparta wächst jedoch die Furcht vor den Argeiern, die die von Ampelidas und Lichas überbrachte Verlängerung des dreißigjährigen Vertrages ablehnten. Deshalb entlassen die Spartaner die unwilligen Verbündeten und schließen mit Athen einen Bündnisvertrag auf gegenseitigen Beistand im Falle eines Angriffs auf die verbündete Stadt von seiten Dritter. Wenn dann auch noch Pleistoanax auf spartanischer und Lamachos auf athenischer Seite mit zu den Unterzeichnern gehören, dann verlieren diese Angaben ganz schnell an Glaubwürdigkeit.
Für den "Polemos" ist mit diesen beiden Verträgen (Friede des Nikias und Bündnis) der zehnjährige (Archidamische) Krieg im Jahre des Ephorats von Pleistolas und des Archontats von Alkaios zu Ende gegangen (Thuk. V, 25). Die Parteien halten den Frieden sechs Jahre und zehn Monate lang ohne direkten Feldzug in das Gebiet des anderen ein. Erst im Jahre (konv.) 414 v.Chr. beginnen die Kämpfe zwischen Athen und Sparta von neuem. Es sind vorerst andere Städte auf der Peloponnes, und zwar vor allem Korinth und Argos, die den Frieden stören.
(Thuk. V, 26) Auch diese weiteren Ereignisse hat derselbe Thukydides von Athen hier aufgezeichnet, in der Folge, wie sie eingetreten sind, nach Sommern und Wintern, bis hin zu dem Tage, wo die Lakedämonier und ihre Verbündeten der Herrschaft Athens ein Ende machten ...
Das schreibt nicht Thukydides selbst, das schreibt zumindest der Autor des "Polemos" oder sogar erst später der Redakteur. Weiter heißt es: Die Dauer des Krieges bis zu diesem Zeitpunkt beträgt insgesamt siebenundzwanzig Jahre; denn wenn jemand die Zwischenzeit des Vergleichs nicht als Krieg rechnen will, so begeht er einen Fehler. ... Wir hatten die Dauer des Krieges auf 27 1/2 Jahre (692 bis 720 ndFl) festgelegt und glaubhaft begründet. In dieser Zeit waren in Sparta achtundzwanzig eponyme Ephoren im Amt, wie obiges Schaubild zeigt. Weiter heißt es: Außerdem kamen bei dem Kriege um Mantineia und Epidauros und auch sonst Verletzungen von beiden Seiten vor; auch blieben die Verbündeten im thrakischen Gebiet nach wie vor feindlich, und die Böoter brachten es nur zu einem Zehntage-Waffenstillstand. Zu Mantineia und Epidauros soll hier noch nichts gesagt werden.
Wie wenig dafür spricht, dass Thukydides selbst diese Zeilen schreibt, ist auch dem weiteren Text in Absatz 26 zu entnehmen: Ich erinnere mich nämlich gar wohl, dass immerfort, gleich bei Beginn des Krieges und bis zum Kriegsende die Prophezeiung wiederholt wurde, dass er dreimal neun Jahre währen müsse. Was mich betrifft, so habe ich ihn ganz miterlebt, war auch in dem geeigneten Alter, um alles zu verstehen, und richtete meine Aufmerksamkeit darauf, zuverlässige Kunde zu erlangen.
Schreibt hier Xenophon über seine Jugendzeit, einer, der um etwa 680 ndFl geboren sein könnte und bei seiner Anabasis (724-726 ndFl) demnach etwa fünfundvierzig Jahre alt war? So schreibt jedenfalls kein Feldherr, der von Anfang an als Soldat dabei war. Thukydides wurde circa 662 ndFl geboren und war zu Beginn des Krieges folglich etwa dreißig Jahre alt. Dann aber kommt eine Passage, die dem zu widersprechen scheint:
Ich hatte das Schicksal, zwanzig Jahre lang aus meiner Vaterstadt verbannt leben zu müssen, nachdem ich Feldherr gegen Amphipolis gewesen war, konnte mich daher bei beiden Parteien aufhalten, wegen meiner Verbannung insonderheit bei den Peloponnesiern, und hatte also Muße genug, mir tiefere Einblicke zu verschaffen. Nun aber will ich erzählen, wie es nach den ersten zehn Jahren zu Zwistigkeiten und zum Zusammenbruch des Vertrages, endlich wieder zum Krieg gekommen ist.
Der junge Mann, der gerade alt genug war, sich eine eigene Meinung über den ablaufenden Krieg zu bilden, stellt sich nun als Feldherr bei Amphipolis vor, in welcher Rolle wir Thukydides tatsächlich schon erlebt haben (Thuk. IV, 104). Diese ist übrigens auch die einzige Stelle, an der wir ihn als Feldherrn in Tätigkeit erleben. Ganz abgesehen davon, dass diese Stelle gar nicht ins angegebene (konv.) Jahr 424 v.Chr. analog 700 ndFl, sondern ins Jahr (konv.) 432 v.Chr. analog 692 ndFl gehört, als der Autor des "Polemos" noch sehr jung gewesen sein muss, scheint mir ein verbannter Thukydides auch wenig geeignet, Kriegsannalen zu verfassen, die auch den Anspruch auf Vollständigkeit erheben können. Hier hat ein Redakteur den Autor nachträglich mit Thukydides zu verquicken versucht. Der Letztere war vermutlich gar nicht verbannt; das könnte eher den Autor betreffen, durchaus Xenophon, von dem nur wenig bekannt ist.
In konventioneller Sicht findet der Ostrakismos (= Verbannung durch das "Scherbengericht") des Thukydides, Sohnes des Melesias, im Jahre 443 v.Chr. statt, also inmitten der Pentekontaëtie, was bedeuten würde, dass Thukydides erst mitten im Krieg (konv. 423 v.Chr.) wieder nach Hause käme. Konventionell handelt es sich bei dem Verbannten aber auch gar nicht um den Verfasser der Kriegsannalen, der als Sohn des Oloros gilt, sondern um einen innenpolitischen Gegner des Perikles im Streit um das Strategenamt. Selstverständlich handelt es sich in Wirklichkeit sehr wohl um denselben Thukydides, der ein Sohn des Melesias und ein Urenkel (und nicht Sohn) des Thrakers Oloros war. Auch Bengtson (Seite 178) weist auf die Stelle hin (Thuk. II, 65), an der der "Polemos"-Autor Perikles als "undemokratischen Alleinherrscher" bezeichnet; in Bengtsons Vorstellung kann hiermit nicht Peisistratos gemeint sein, der niemals in einer Demokratie gelebt hat.
Ein Ostrakismos ist indes ein demokratischer Vorgang, und deshalb ist die Verbannung des Thukydides nur in der frühen demokratischen Phase Athens möglich, also tatsächlich um das Jahr (konv.) 424 v.Chr. analog 700 ndFl. Unmittelbar nach Amphipolis, das ja ins Jahr 692 ndFl gehört, wäre die Verbannung einer Herausnahme des Thukydides aus den ganzen ersten zwanzig Kriegsjahren gleichgekommen. Es gibt schon wenig Sinn genug, Thukydides für die letzten zwanzig Jahre außer Gefecht zu setzen. Dann käme er am Ende dieses Krieges wieder nach Athen zurück. Es wird hier deutlich, dass es konventionell einen zweiten Thukydides geben muss, der in der neuen Sicht nicht erforderlich ist. Wegen der erfundenen Pentekontaëtie ist auch eine Gleichzeitigkeit von Perikles und einem Thukydides, der die Sache der Bundesgenossen zu seiner eigenen gemacht hatte (Bengtson, Seite 187), nur eine Fata morgana. Ich bleibe bei meiner Ansicht, dass Thukydides gar nicht verbannt worden ist.
Korinth und Argos nehmen nach dem vermeintlichen Verrat der Spartaner an der peloponnesischen Sache Verhandlungen auf. Sie beschließen ein Bündnis, dem auch solche Städte, die gleichgesinnt sind, beitreten können, außer natürlich Athen und Sparta (Thuk. V, 27). Argos hofft, auf diesem Wege die Hegemonie auf der Peloponnes zu erringen, da sich Sparta offensichtlich im Krieg erschöpft hat.
(Thuk. V, 29) Als erste kamen die Mantineer mit ihren Verbündeten aus Angst vor den Lakedämoniern. Die Mantineer nämlich hatten sich noch während des Krieges mit den Athenern ein Stück von Arkadien angeeignet; sie konnten nicht annehmen, dass die Lakedämonier ihnen die Herrschaft darüber lassen würden, nun sie zur Ruhe gekommen waren.
Wir erfahren in diesem Zusammenhang, dass Mantineia und Argos demokratische Verfassungen haben. Diese und andere peloponnesische Städte, insbesondere die, die vorher mit Sparta gegen Athen verbündet waren und den Vertrag mitunterzeichnet hatten, sind ganz besonders verärgert darüber, dass in dem Vertrag bestimmte Klauseln nach Gutdünken der Spartaner wie der Athener verändert werden können. So nahm der Bund der Argeier immer mehr zu, und auch Elis blieb nicht außen vor, zuletzt nach Korinth auch die Städte der thrakischen Chalkidike. Gemeinsam versuchen Korinth und Argos, auch die arkadische Stadt Tegea zum Abfall von den Spartanern zu bewegen. Die Tegeaten weisen das zurück.
(Thuk. V, 32) ... Trotzdem erschienen sie noch vor den Böotern und baten um deren Bundesgenossenschaft für sich und die Argeier ... Da die Böoter mit Athen nicht lange nach jenem fünfzigjährigen Vertrage ihren Zehntagevertrag erneuert hatten, so forderten nun die Korinther von den Böotern, sie sollten mit ihnen nach Athen gehen und für sie ein ähnliches Abkommen, wie es die Böoter hatten, erwirken. Im Falle die Athener sich weigerten, sollten sie den Waffenstillstand aufsagen und künftig keinen mehr ohne sie abschließen. ... als sie dann mit den Korinthern in Athen ankamen, vermochten sie den Zehntagevertrag nicht durchzusetzen ... so blieb den Korinthern nur ein vertragloser Waffenstillstand mit den Athenern.
Was sich hier in der Zeit des Nikias-Friedens anbahnt, ist die Zeit des Korinthisch-argivischen Doppelstaates (konv. 392-386 v.Chr.), der in demselben Jahr gegründet wurde, in dem Friedensverhandlungen zwischen Athen und Sparta (konv. 392 v.Chr.) stattfanden! Bengtson (Seite 239) schreibt: Zu Anfang des Jahres 392 brach in Korinth eine demokratische Revolution aus; ihr folgte ein staatlicher Zusammenschluss mit Argos... (er wurde nach dem Frieden des Antialkidas, 386, wieder aufgelöst)... Die Vereinigung schuf am Isthmos und in der Argolis ein beachtliches Gegengewicht gegen die spartanische Hegemonie, und es bedarf kaum eines Beweises, dass auch bei diesem Vorgang persisches Gold die Entwicklung entscheidend gefördert hat. - (Antialkidas heißt in den Hellenika Antalkidas.)
Das Letztere will ich gerne glauben. Es ist die Zeit der diversen "Handlungsreisenden", die mit ihren Koffern voll Gold für den Großkönig durch Hellas ziehen.
Bengtson (Seite 239f.) sieht den Beginn der Friedensverhandlungen zwischen Athen und Sparta nach einer Niederlage der lakedämonischen Mora gegen athenische Peltasten unter Iphikrates, wovon im "Polemos" allerdings keine Rede ist. Die Verhandlungen führt der Athener Andokides, der schon bei Leukimme auf der Seite der Korkyräer gegen die Korinther gemeinsam mit Glaukon, dem Sohn des Leagros, athenische Schiffe befehligt hat. Andokides wird dort (Thuk. I, 51) als Sohn des Leogoros bezeichnet. Von (konv.) 433 bis (konv.) 392 v.Chr. kann er durchaus gelebt haben; aber von 691 bis 703 ndFl ist einfacher. An einer weiteren Stelle wird er im "Polemos" nicht mehr erwähnt. Seine Erwähnung vermisse ich auch in den Hellenika, wo die Lage in Korinth ab Buch IV, Kapitel 4 beschrieben wird.
Da die Friedensverhandlungen erst in Kapitel 8 folgen, liegt der Verdacht nahe, dass sich an dieser Stelle eine falsche chronologische Abfolge der Kapitel offenbart, ein Umstand, mit dem wir in den Hellenika ständig zu rechnen haben. Es könnte sich bei diesen Friedensverhandlungen um die nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges handeln!
Wie sehr die Vermischungen in den Hellenika die Geschichte permanent verfälschen, kommt unter anderem darin zum Ausdruck, dass Agesilaos in den Hellenika fälschlicherweise immer nur als König gesehen wird; er handelt aber in Wirklichkeit auch schon als Feldherr ohne Krone in den Hellenika, wird dann aber mit späteren Ereignissen, die in seine Königszeit gehören, in Zusammenhang gebracht. Ein Beispiel hierfür ist seine Erwähnung in Hellenika III 5, die in seine Königszeit gehört, die jedoch in Ereignisse eingebunden ist, die in die in Rede stehende Zeit gehören:
Tithraustes indessen, der auf Grund seiner Erkundigungen zu der Meinung gelangt war, Agesilaos habe in Geringschätzung der Macht des Großkönigs nicht im entferntesten die Absicht, sich aus Asien zurückzuziehen, sondern hege vielmehr große Hoffnungen, den König noch zu überwinden, ...
Dieser erste Teil des ersten Satzes gehört angeschlossen an das vorherige Kapitel 4, das in die Zeit nach Xenophons Anabasis gehört (726 ndFl). Der Großkönig (das persische Wort hierfür ist Arta-Chschatrach, im AT Arthachsasthach und auf griechisch Artaxerxes) ist nicht mehr Darius, sondern Artaxerxes Mnemon. Der zweite Teil dieses Satzes gehört in die in Rede stehende Zeit:
... schickte in seiner Verlegenheit, was er in dieser Lage tun sollte, den Rhodier Timokrates, dem er Gold im Werte von fünfzig Talenten Silbers mitgegeben hatte, nach Griechenland mit dem Auftrag, ... die leitenden Männer in den Städten ... durch Bestechung dahin zu bringen, einen Krieg gegen die Lakedaimonier zu entfachen. Jener konnte nach seiner Ankunft in Theben den Androkleidas, Ismenias und Galaxidoros bestechen, in Korinth Timolaos und Polyanthes, in Argos Kylon und seine Parteifreunde. Die Athener hatten zwar von diesem Golde nichts angenommen, waren aber nichts desto weniger zum Kriege bereit in dem Glauben, dass sie ihre alte Herrschaft wiedergewinnen würden. Diejenigen aber, die das Geld angenommen hatten, ... brachten eine Verbindung der großen Städte untereinander (gegen Sparta) zustande.
Wir leben im Jahre 703 ndFl, der Zeit der persischen Goldgeschenke an die griechischen Stadtoberhäupter, und von den Bestechern wie von den Bestochenen haben wir einige schon kennengelernt:
Der Satrap Tithraustes begegnet uns hier zum ersten Mal; er gehört erst in die Spätphase des Agesilaos. An seine Stelle setzt Bengtson (Seite 237) einen anderen Satrapen: Pharnabazos. Er weiß natürlich nicht, dass das der Sohn Kassandros = Artaphernes der Jüngere des soeben verstorbenen Antipatros = Artaphernes des Älteren = Pharnakes ist. Vom Zeitpunkt her erscheint mir diese Variante durchaus gerechtfertigt; denn es handelt sich um ein Ereignis des Jahres 703 ndFl. Ich würde allerdings lieber einen anderen Satrapen hier einsetzen, Ariobarzanes, den Herodot (VII 2ff.) Artobazanes nennt.
In den Hellenika erscheint Ariobarzanes mindestens an drei verschiedenen Stellen: An der ersten Stelle (Hell. I 4, 7) handelt es sich um einen Vorgang aus dem Jahre 716 ndFl, an der zweiten (Hell. V 1, 28) um einen solchen aus dem Jahre 706 ndFl (etwa) und bei der letzten Stelle endlich sind wir in der in Rede stehenden Zeit angekommen. Für die Chronologie bedeutet das aber, dass der obige Vorgang aus Hellenika III 5 in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Folgenden steht:
(Hell. VII 1, 1) Im folgenden Jahr (konventionell wird hier das Jahr 369 v.Chr. gesehen, in dem die Verhandlungen zum Frieden von Delphi geführt worden sein sollen) kamen von den Lakedaimoniern und ihren Bundesgenossen Gesandte mit unumschränkter Vollmacht nach Athen, um über die Bedingungen zu beraten, unter welchen das Waffenbündnis zwischen Lakedaimoniern und Athenern in Kraft treten sollte.
Mit dieser Information gehen wir in dieses Jahr 703 ndFl, in dem der Nikias-Friede und das Waffenbündnis der Athener mit Sparta unterzeichnet wurden. Auf dieser Konferenz geht es weiter:
(Hell. VII 1, 27) Während sich so von den Bundesgenossen jeder auf sich selbst das meiste einbildete, erschien der Abydener Philiskos (wird nur hier erwähnt), der von Ariobarzanes mit viel Geld gesandt worden war. Dann rutscht der Inhalt in eine andere Zeit: Zunächst ließ er die Thebaier, die Bundesgenossen und die Lakedaimonier zu einer Friedensverhandlung nach Delphi kommen. Nach ihrer Ankunft dort stellten sie aber dem Gott überhaupt nicht die Frage, auf welche Weise der Friede zustandekommen solle, sondern beschränkten sich darauf, für sich miteinander zu beraten. Da aber die Thebaier nicht zugestehen wollten, dass Messene den Lakedaimoniern untertan sein solle, sammelte Philiskos ein zahlreiches Söldnerheer, das auf seiten der Lakedaimonier in den Krieg eingreifen sollte.
In welchen Krieg? Es herrscht doch Friede! Es ist deutlich zu erkennen, dass hier das "Wettkriechen" des Jahres 698 ndFl mit den Verhandlungen über das Waffenbündnis dieses Jahres, die gar nicht in Delphi geführt zu werden brauchten (da war der Friede im Jahre 691 ndFl nach dem "Heiligen, amphiktyonischen Krieg" geschlossen worden), in einen Topf geworfen wurde. Außerdem war doch Timokrates zu den Thebaiern geschickt worden, wie wir weiter oben erfahren haben. Das hat natürlich zu einer totalen Verwirrung in den konventionellen Datierungen geführt. Was aber bleibt, ist das Gold des Persers Ariobarzanes aus dem Koffer des Philiskos bei den einen, des Timokrates bei den anderen.
Der Name des Timokrates erscheint im "Polemos" einmal als spartanischer Feldherr, der sich nach verlorenem Flottenkampf im Golf von Korinth selbst den Tod gibt (Thuk. II, 85 und 86) und als Vater eines korinthischen Heerführers, des Timoxenos (Thuk. II, 33), dem es mit zwei anderen Führern gelang, Enarchos wieder als Tyrann von Astakos in Akarnanien einzusetzen.
Bei Herodot erscheint der Name Timokrates nicht, aber in den Hellenika gehört er sogar zu vier offensichtlich ganz unterschiedlichen Personen: Zu Timokrates aus Rhodos, den wir hier vor uns haben, zu einem Athener (Hell. I 7, 3) im Arginusen-Prozess, einem Syrakusier (Hell. VII 4, 12), der mit einer Hilsflotte für die Lakedaimonier aufkreuzt, und zu einem lakedaimonischen Gesandten in Athen (VII 1, 13), der mit dem lakedaimonischen Feldherrn aus Thuk. II, 85f. identisch sein kann, wenn diese Passage zum Frieden von Delphi gehören sollte, der noch zu Lebzeiten dieses Timokrates' abgeschlossen wurde.
Ismenias schließlich ist uns schon bekannt als Halbbruder von Philipp und Perdikkas, als Patizeithes-Spitamenes, des Verbündeten des Kambyses-Bessos, und als Menelaos, der mit seinem schwachsinnigen Bruder Arrhidaios-Baryaxes nach der Entlarvung dieses Pseudo-Smerdis in Olynth untergetaucht war. Jetzt sitzt er in Theben und lässt sich bestechen. Die Spartaner lassen ihn demnächst ermorden. Bengtson hält den "Genossen Ismenias des Pelopidas", den Alexander im Jahre (konv.) 368 v.Chr. in Thessalien festnahm, für den Sohn desjenigen Ismenias, der "einst als Genosse des Timokrates das persische Gold in Griechenland hatte rollen lassen" und im Jahre (konv.) 382 v.Chr. als "geschworener Feind der Spartaner" in Theben von dem Spartaner Phoibidas hingerichtet wurde. Für uns ist er ein und derselbe. Seine Hinrichtung steht noch bevor.
Es ist nicht auszuschließen, dass die Flucht des Harpalos, des (angeblichen) Schatzmeisters Alexanders (in konventioneller Sicht ist kein anderer Herrscher greifbar), der sich mit der Kriegskasse nach Athen abgesetzt haben soll, in diese Bestechungsaffären gehört. Das Geld des Harpalos wanderte zunächst auf die Akropolis und von dort in die Taschen attischer Politiker. In dem folgenden harpalischen Prozess wurden harte Strafen ausgesprochen: Demosthenes, der eine hohe Geldstrafe hätte entrichten müssen, zog es vor, nach Troizen in die Verbannung zu gehen (Bengtson, Seite 329).
Das ist doch merkwürdig. Sollte hier der Prozess um die verschwundenen Gelder des Harpalos oder richtiger gegen die antipersisch-antimakedonische Opposition geführt worden sein? Es ist doch unglaubhaft, dass ausgerechnet der Feind der Peisistratiden, Demosthenes, persisches oder makedonisches Gold angenommen haben sollte. Hier wurde offensichtlich ein Mann entweder zu Unrecht beschuldigt oder einfach nur von den Peisistratiden aus Athen hinauskomplimentiert, über Troizen in der Argolis nach Sizilien!
Thuk. V, 33 knüpft an Thuk. V, 29 an: In demselben Sommer (konv. 421 v.Chr. analog 703 ndFl) zogen die Lakedämonier mit ihrem ganzen Heerbann unter Führung des Pleistoanax, Sohnes des Pausanias und Königs von Lakedämon, ...
Hier ist der ungeborene Pleistoanax oder Pleistarchos wieder einmal fehl am Platze, und das sogar in der konventionellen Geschichte! Außerdem wird dieser Sohn von der Tochter Gorgo des Kleomenes dem Leonidas geboren werden, und nicht dem Pausanias. Wichtiger ist, wohin der spartanische König - welcher es auch immer gewesen soll - mit seinem Heer zog: ... zu den Parrhasiern in Arkadien, Untertanen von Mantinea. Sie waren von einer Partei der Parrhasier herbeigerufen worden und wollten zugleich auch, wenn möglich, die Mauer in Kypsela schleifen, welche die Mantineer gebaut hatten ... Die Lakedämonier verwüsteten das Land der Parrhasier, worauf die Mantineer ihre Stadt unter den Schutz der Argeier stellten... Hieran ist wichtig, dass sich Argos immer mehr in den Vordergrund schiebt. Mantinea (auch Mantineia geschrieben) begibt sich auf ein glattes Parkett.
Zwischen Athen und Sparta war längst nicht alles geklärt. So behielten die Spartaner Amphipolis, das von Brasidas erobert worden war, während die Athener Pylos nicht an die Spartaner herausgaben. Nachdem im folgenden Winter auch noch solche Ephoren in Sparta an die Regierung gekommen waren, die schon vorher gegen den Vertrag gewesen waren, nahmen Kleobulos und Xenares, die entschiedensten Gegner, neue Verhandlungen mit den Böotern und Korinthern auf. Sie ermahnten die Böoter, unbedingt Verbündete der Argeier zu werden, um auf diese Weise die Argeier fester an Sparta zu binden, ja man war sogar bereit, den Vertrag mit Athen zu diesem Zweck aufs Spiel zu setzen; doch aus alledem wurde zunächst nichts (Thuk. V, 36-38). Die Spannungen blieben, und im Winter schlossen die Lakedämonier doch noch einen Vertrag mit den Böotern, der sogar eindeutig gegen die Interessen der Athener gerichtet war. Damit ging das elfte Jahr des "kurzen" Krieges zu Ende.
Wie zu erwarten, finden wir im Jahre (konv.) 413 v.Chr. wieder eine Vermischung von Ereignissen aus dem Jahr 711 ndFl (Wiederbeginn des Krieges auf dem griechischen Festland) und aus dem in Rede stehenden Jahr 703 ndFl, wozu hauptsächlich Sizilien gehört (Thuk. VII, 19). Hier interessiert nur das, was Sizilien betrifft: ... von der Peloponnes aus (gingen) die Lastschiffe mit den Hopliten ab nach Sizilien. Die Führung hatte der Spartiate Ekkritos, die Böoter unterstanden den Thebanern Xenon und Nikon sowie dem Hegesandros aus Thespiä. Die Korinther standen unter dem Befehl des Alexarchos, die Sikyonier wurden von Sargeus angeführt.
Die Athener lassen Demosthenes nach Sizilien auslaufen mit insgesamt fünfundsechzig Schiffen (Thuk. VII, 20). Syrakus bereitet sich unter Federführung des Gylippos, jenes Lakedaimoniers, der schon im Vorjahr in dieser Gegend sehr aktiv gewesen war, auf harte Zeiten vor. Von Hermokrates wird gesagt, er unterstütze Gylippos, der offenbar das Sagen hat. Nach einigen Gefechten, auf die hier nicht im einzelnen eingegangen werden soll, war eine Pattsituation entstanden.
Da die Lage für die Athener nicht günstig war, machte sich Demosthenes jetzt von seinen Zwischenstationen, die er auf seinem bisherigen Weg angelaufen hatte (u. a. Troizen, wie oben gesagt), gemeinsam mit dem schon erwähnten Eurymedon endlich nach Sizilien auf (Thuk. VII, 26, 31), wo sie von Nikias mit der nötigen Verstärkung erwartet werden. Nachdem schon wieder Kämpfe stattgefunden hatten, trafen Demosthenes und Eurymedon bei Nikias ein (Thuk. VII, 42).
Das Scheitern der athenischen Sizilien-Expedition werde ich nicht in allen Einzelheiten beschreiben. Es zieht sich hin bis zum Ende dieses Buches (Thuk. VII, 87). Nach vielen verlorenen Kämpfen sind die Athener geschlagen, von den Feldherren ist Eurymedon gefallen, Demosthenes und Nikias werden gefangengenommen und von den Syrakusiern gegen den Willen des Lakedaimoniers Gylippos hingerichtet. Das steht im Gegensatz zu der Angabe, Demosthenes habe nach der verlorenen Seeschlacht bei Amorgos im Tempel des Poseidon auf der Insel Kalaureia Selbstmord begangen (Winter 322; Bengtson, Seite 342). Konventionell ist dies kein Problem, da der eine nicht für den anderen Demosthenes zu stehen braucht. Für uns ist es eines; aber ich kann es nicht lösen. Eine der Angaben muss falsch sein, wenn nicht sogar beide.
Es ist allerdings auch denkbar, dass der Friedensvertrag erst ins folgende Frühjahr gehört und die beiden Feldherren erst in diesem folgenden Jahr zu Tode kommen: Demosthenes wie geschildert durch Selbstmord, und Nikias auf andere Weise. Insofern hätte sich Gylippos in Syrakus durchgesetzt.
Auf einem anderen Kriegsschauplatz gab es in diesem Jahr ebenfalls einen berühmten Toten. Wie sehr auch hier die Voreingenommenheit der konventionellen Historiker unheilvolle Verwirrung angerichtet hat, geht zum Beispiel aus dem an den vorstehenden (Bengtson, Seite 342) anschließenden Text hervor:
In Asien hatte der Weggang des Krateros (er ist Alexander selbst) nach Europa dem Ehrgeiz des Chiliarchen Perdikkas (er besaß mittlerweile nicht mehr diesen Titel) freie Bahn gelassen. In uneingeschränktem Besitz der obersten Gewalt über das asiatische Reichsgebiet (diese Gewalt hatte jetzt Darius) suchte Perdikkas durch den Plan, Kleopatra, die Schwester Alexanders, zu ehelichen (also Perdikkas heiratet seine eigene Tochter!), seine Person mit der Dynastie der Argeaden (Perdikkas war selbst ein solcher) und mit dem toten König zu verbinden.
Die falsche Sicht der Dinge geht zwangsläufig auch noch weiter: Mit der Flucht des großphrygischen Satrapen Antigonos (gemeint ist Monophthalmos = Philipp I) nach Europa (dort war der Thessalier zu Hause) kam der Stein ins Rollen, es bildete sich eine große Koalition gegen den Chiliarchen, ein Bund, dem fast alle bedeutenden Diadochen mit Ausnahme des Eumenes angehörten. Perdikkas, zu einem Zweifrontenkrieg in Kleinasien und gegen Ägypten gezwungen, tat das Verkehrteste, was er in seiner Lage tun konnte: er ergriff die Offensive gegen das durch den Wüstensaum vortrefflich geschützte Nilland. Der Feldzug scheiterte, der Chiliarch fiel in seinem Feldherrnzelt unter den Streichen eines Attentäters (321 v.Chr.). Ptolemaios, der Sieger, aber nahm die ihm angebotene Reichsverweserschaft nicht an, er begnügte sich mit der ägyptischen Satrapie, mit der er bereits die Cyrenaica verbunden hatte.
Ob der Ägyptenfeldzug durch den Abfall des Hophra-Apries Nefer-uach-ib-Re = Nepherites erforderlich geworden war, den Kambyses 699 ndFl hier eingesetzt hatte, oder einfach nur dessen Austausch gegen "den Sieger" Ptolemaios (Epi-) Phanes = Amasis (Ptah-)Ramses I Men-pechti-Re geplant war, den Kambyses aus Ägypten mitgeführt hatte, ist zwar nicht von entscheidender Bedeutung, steht aber beides im Gegensatz zu der angeblichen "Verzweiflungstat" des Perdikkas, Ägypten anzugreifen. Und ein "Sieger Ptolemaios", dem man die Reichsverweserschaft aufdrängen will, hat keinen Platz in dieser Zeit.
Durch den Tod des Perdikkas wurde Philipp (Antigonos Monophthalmos) gegen die Interessen seines Neffen Alexander, der sich keineswegs damit abzufinden gedachte, König von Makedonien.
Konventionell wird die Reichsordnung von Triparadeisos, also die zweite Neuverteilung der Satrapien durch Darius, im Anschluss an den Tod des Perdikkas gesehen, und das unheilvolle Nebeneinander des asiatischen Königreiches und des makedonischen Königtums schien damit aus der Welt geschafft (Bengtson, Seite 343). Ich halte es für richtiger, die Satrapien-Neuverteilung an den Tod des Antipatros im Vorjahr zu knüpfen. Das "asiatische Königreich", das hier nur halbherzig und führungslos in den Raum gestellt wird, ist das Perserreich des Darius, was in der konventionellen Chronologie ebenfalls nicht erkannt werden kann.
Letzter Stand: 10. Januar 2014
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